Umgang mit dem Sterben: Robert Enkes öffentlicher Tod
Der Suizid des Nationaltorhüters löste eine Welle der Anteilnahme aus. Die mediale Aufbereitung sagt auch einiges über unsere Gesellschaft aus.
Düsseldorf. Selten ist ein Tod in der Öffentlichkeit so zelebriert und multimedial aufbereitet worden wie der Suizid des Nationaltorhüters Robert Enke.
Gewiss, dies mochte auch mit dem Schock verbunden gewesen sein, den die Wahl der Todesart, die blanke Gewalttätigkeit der selbst gewählten Vernichtung auslöste. Indes, haben Soziologen und Kulturphilosophen uns nicht seit gut einem Jahrhundert von Max Weber über Martin Heidegger bis Michel Foucault den Spiegel vorgehalten, wir verdrängten die Sterblichkeit, verbannten unser diesseitiges Befristet-Sein in die gesellschaftlichen Hinterzimmer und in die seelischen Dunkelkammern unseres Bewusstseins?
Aber längst ist die Postmoderne von einer rasenden Hypermoderne überholt worden. In den USA wird das Sterben in der 62-teiligen Serie "Six Feet Under - Gestorben wird immer" munter gefeiert. Auch das ZDF erkannte die Leichen der Zeit und heuerte "Die Leichenwäscherin" an.
Sarkasmus? Mitnichten. Genießt nicht der Präparator Gunther von Hagens großen Zulauf, wo immer er eine Schau mit Leichen-Plastinaten eröffnet? In der "Zeit" war trefflich zu lesen: "Boulevardblätter leben immer häufiger vom Tod, sie blühen auf, wenn sie auf ihren Titelseiten todkranke Stars präsentieren können, ein letztes Mal und immer wieder."
Ja, solcherart ist der Tod wahrhaftig immer wieder "schön" - so lange er nicht einen selber ereilt, so lange wir das Elend anderer, gleichsam stellvertretend Siechender wie Voyeure beäugen können und uns darin vereint wissen mit Millionen.
Die Trauerfeier für Enke als Trauer-Show mit einem in Herzform mit Blumen geschmückten Sarg im populären, überquellenden Fußballstadion, live übertragen vom TV und prämiert mit höchsten Einschaltquoten. Dieses schier krankhafte Bemühen um eine simplifizierende Bewältigung des letzten und zuletzt allertiefsten existenziellen Geschehens, das einen jeden unerbittlich treffen wird, erniedrigt den ungeheuerlichen, unfassbaren Akt des Sterbens zur Banalität, ohne dass es gelänge, den Menschen auch nur im geringsten zu erlösen.
Doch Erlösung hat in solcherart hilflos-zynischer Kommerzialisierung des Todes keinen Platz. Denn diese gnadenlose Vermarktung ist zutiefst geprägt von der gehetzten Angst, das Eigentliche zu verpassen, an ihm vorbei zu leben und zu eilen. Wi/r leben ja keineswegs im Augenblick. Hastig wie wir sind, vertagen wir diesen auf übermorgen. Den Moment zu ertragen, halten wir nicht aus - als hätten wir andernfalls etwas verpasst und die lähmende Schwermut nähme grimmig lächelnd Platz in uns.
Robert Enke, daran sei erinnert, war allem Lauten und Plakativen abhold. Um es vielleicht mit einem Schuss literarischem, gleichwohl sehr ernst gemeintem Pathos zu sagen: Er kam aus der Dunkelheit der Depression, suchte die Dunkelheit der nahenden Nacht, und er wollte in diese Dunkelheit gehen. Der Weg aus der und in die irreparable Einsamkeit war seine "ultima ratio" oder, wenn man so will, "ultima irratio". Dann folgt dieser einsamsten und grausamsten aller möglichen Entscheidungen die grenzenlos öffentliche Todes- und Trauervermarktung.
Sterben und Tod wurden indes nicht immer buchstäblich ins Ich "umgemünzt". Sie konnten in der Geschichte weltweite Erschütterungen bewirken - gerade weil und wie sie medial vermittelt und erlebt wurden: Die Ermordung und das Staatsbegräbnis von John F. Kennedy etwa, die pompöse Beisetzung des russischen Diktators Josef Stalin oder die öffentliche Erschießung des Tyrannen Nicolae Ceaucescu und seiner Frau vor laufender Kamera - es waren Bilder, die für eine Zeitenwende standen, die aufwühlten.
Doch mögen wir heute noch so sehr versuchen, unseren Erzfeind namens Tod, behübscht gerahmt von Kerzen und Teddybären zu sentimentalisieren und ihn uns geradezu anheimelnd zum Kumpanen zu machen - es gelingt nicht.
Wir können versuchen, das Sterben zu "normalisieren". Das ist heute offenbar ein unabweisbares Bedürfnis der Gesellschaft geworden.. Der Tod wird ja meist immer noch empfunden als Skandal und verbrecherische Ruptur und keineswegs als die Rundung eines Kreislaufs. Der allergrößte Skandal der hochtechnisierten Gesellschaft indes ist das Sterben dann, wenn eine gerühmte Innovation, eine Apparatur versagt oder ein Serum noch nicht erfunden ist.
Wo auch immer der Tod den Menschen hinführt - Religionen antworten darauf. Zuerst aber sind für die, die verlassen wurden, Erklärungen wichtig, Verstehen und Trost. Und darauf hat die Kultur in den vergangenen Jahrhunderten unterschiedliche Antworten gefunden. Der Totentanz galt im Barock als vertrautes Vanitas-Symbol.
Im Hauptwerk des Dichters Sebastian Brant, "Das Narrenschiff" (1494) sind die meisten Menschen Toren, die ein vergebliches Leben führen, das ein sinnloser Tod beendet. Diesen muss man gewiss mitunter öffentlich mit Würde zelebrieren. Doch vom Sterben muss die Gesellschaft sich vor allem zuinnerst ergreifen lassen - sonst kann sie damit nicht leben.