Analyse von Uwe Schummer Konrad Adenauers Spuren

Analyse | BONN · Der ehemalige Bundestagsabgeordnete Uwe Schummer (CDU) aus Viersen schreibt in diesem Gastbeitrag über das Ende Adenauers Kanzlerschaft vor 60 Jahren. Und was von dem Rheinländer geblieben ist.

Konrad Adenauer, hier bei der Unterzeichnung des Grundgesetzes am 23. Mai 1949.

Foto: picture-alliance/ dpa/DB

Am 14. Oktober 1963 tritt der Gründungskanzler der Bundesrepublik, Konrad Adenauer, zurück. Nach heftigen Konflikten mit der FDP; aber auch innerhalb der Union. Erst hinter vorgehaltener Hand, dann wurde es immer lauter: „Der Alte muss weg.“ Die Bundesrepublik hatte sich etabliert, eine neue Politikergeneration wollte sich nun beweisen. Adenauer sahen sie nur noch als Fossil der unrühmlichen Weimarer Zeit.

Schon in den Nachkriegswirren von 1918 erlebte er, wie Arbeiter- und Soldatenräte sein Kölner Rathaus besetzten. Der noch junge Oberbürgermeister sollte abgesetzt und Köln das Zentrum einer Räterepublik werden. Konrad Adenauer machte einen Gegenvorschlag: „Auch in der Revolution“ brauche es „Schreibmaschinen, Papier und Personal.“ Sie könnten ihn mit seiner Erfahrung zum „Beauftragten für Ruhe und Ordnung ernennen.“ Über die Bereitschaft zur Kooperation erstaunt, wurde der Ausweis erstellt und von den Arbeiter- und Soldatenräten unterzeichnet.

Adenauer hatte eine Fehde mit Gustav Stresemann

Die Weimarer Demokratie setzte sich durch; die Unruhen fanden zunächst ein Ende. Das Frauenwahlrecht als Teil einer umfassenden Wahlrechtsreform von 1018 standen für eine Demokratie, die den Zangengriff von Rechts- und Linksaußen abwehrte. Den rheinischen Zentrumspolitiker prägt eine innere Distanz zum preußischen Militarismus. So stand er auch in politischer Fehde mit dem nationalliberalen Kanzler- und Außenminister Gustav Stresemann und seiner Schaukelpolitik zwischen den Mächten. Dieser revanchierte sich und intervenierte als 1926 Konrad Adenauer das Amt des Reichskanzlers angetragen werden sollte. Vielleicht hätte Weimar eine andere Richtung genommen. Menschen prägen Geschichte, Adenauer hatte diese Kraft.

Sein Wirken blieb das Rheinland und in ihm die Metropole Köln. 1929 passierte, was sich zwanzig Jahre später wiederholen sollte, mit nur einer Stimme Mehrheit wurde Adenauer erneut zum Oberbürgermeister gewählt. Nach der Ernennung Hitlers durch den Reichspräsidenten Paul von Hindenburg zum Reichskanzler galt Adenauer als „national unzuverlässig“ und wurde seines Amtes enthoben. Mehrfach musste er sich drohenden Verhaftungen entziehen. Unterschlupf fand er im Kloster Maria Laach in der Eifel.

War er auch nicht selbst im aktiven Kreis des Widerstandes, so hielt er Kontakt zu Gruppen und ihren Überlegungen, wie ein Neuanfang nach der Beseitigung der Nazidiktatur aussehen könnte. Dabei wuchs die Erkenntnis, dass seine Zentrumspartei ökumenisch verbreitert werden müsse und die zukünftige Verfassung nicht wie in Weimar wertneutral sein könne, sondern einen Gottesbezug brauche. 1945 bildeten sich überall in Deutschland Christdemokratische Kreise. Schwerpunkte waren in Köln, Berlin und in München die Christlich-Soziale Union.

Weimar und die Bonner Republik waren das Resultat militärischer Niederlagen, die mit der Befreiung von totalitären Strukturen in Westdeutschland einhergingen. Die Demokratie braucht Zeit, um sich zu entfalten. In Weimar waren die zerstörerischen Kräfte schneller; am Ende stand eine Demokratie ohne Demokraten. Dem folgte die Barbarei der Völkisch-Braunen. 1945 wurde Konrad Adenauer durch die Briten erneut zum Oberbürgermeister von Köln berufen. Seine Antrittsrede gab den Menschen Mut: „Es ist derselbe Strom, der zu unseren Füßen fließt, unser Rhein, dem Köln seinen Wohlstand und seinen Glanz, den offenen und heiteren Geist verdankt, der seine Bewohner auszeichnet. Und nach wie vor zeigen die Türme, die unser Dom `gen Himmel reckt, ungebrochen zum Himmel empor. So wollen wir gemeinsam an`s Werk gehen. Gebeugt, tief gebeugt - aber - meine Damen und Herren - nicht gebrochen.“

An der Kölner Universität hielt Adenauer seine erste programmatische Rede nach dem Zusammenbruch Deutschlands. Seine Botschaft gilt noch heute: „Wenn Böses überhaupt einen Sinn haben könnte, dann nur den, uns Deutsche immun zu machen gegen alle Formen des Totalitären. Die Sühne muss darin liegen, einen Damm zu bilden gegen alle Anfechtungen und Gefahren, denen die Freiheit ausgesetzt ist.“ Am Ende seiner Rede skizzierte er die „Vereinigten Staaten von Europa“ deren Mittelpunkt die Deutsch-Französischen Beziehungen seien.

Drei Jahre später wählte ihn das Parlament in Bonn mit einer Stimme Mehrheit zum ersten Bundeskanzler. Seine Stimme war dabei. Keine Zeit für falsche Bescheidenheit. Er kannte knappe Mehrheiten und bildete eine Koalition mit den Freien Demokraten, die mit Theodor Heuss den ersten Bundespräsidenten stellten. Im Parlament waren elf Fraktionen vertreten. Sein Credo: „Ich bin Deutscher, Europäer und Christ.“

Im hohen Alter von
91 Jahren starb Adenauer

Im Oktober 1950 regten der französische Ministerpräsident Rene Pleven, Konrad Adenauer und der britische Premier Winston Churchill eine „Europäische Verteidigungsgemeinschaft“ an. Zwei Jahre später wird die Idee einer gemeinsamen Verteidigungs- und Außenpolitik von der französischen Nationalversammlung verworfen. Für Adenauer „ein schwarzer Tag für Europa“. Aktuell diskutieren wir vor dem Hintergrund einer neuen militärischen Hegemonie Russlands, einem erneut möglichen US-Präsidenten Donald Trump, wie die „Europäische Union“ militärisch eigenständiger wird.

In der Bundesrepublik führte das Kabinett Adenauer 1956 vor dem Hintergrund des Koreakrieges und der immer stärkeren Bewaffnung der Betriebskampfgruppe in der DDR die allgemeine Wehrpflicht ein.

Durch den Deutschlandvertrag, der am 5. Mai 1955 in Kraft trat, war die Bundesrepublik souveräner Teil des demokratischen Westens. In einer Unterredung mit dem sowjetischen Botschafter Andrej Smirnow schlug Adenauer vor, der DDR einen „neutralen Status“, ähnlich wie Österreich zu geben. Die Bundesrepublik sah er mit der Sozialen Marktwirtschaft als ein „Magnetfeld“, dass so anziehend wirken solle, dass der Systemwettbewerb vor und hinter dem „Eisernen Vorhang“ demokratisch entschieden werde. 1989 ging seine Rechnung auf: Eine friedliche Revolution überwand die Teilung Deutschlands und Europas.

Die Gründungsphase der Bundesrepublik lief erfolgreich. Die Arbeitslosenquote sank auf 0,6 Prozent; es gab einen großen Lastenausgleich um 14 Millionen Menschen, die vertrieben wurden, zu integrieren. Die Erwerbstätigkeit stieg um sechs Millionen Arbeitsplätze, Arbeits- und Sozialrechte wurden begründet, die Soziale Marktwirtschaft und die DM galten schnell als Erfolgsschlager, wozu Bundeswirtschaftsminister Ludwig Erhard seinen Anteil hatte. Sie hatten jedoch eine gepflegte Gegnerschaft. Adenauer, auf Frankreich fixiert und Erhard, der Atlantiker. Als Erhard in der Union zu seinem Nachfolger ausgerufen wurde, ist die Aussage überliefert: „Nun, nageln sie mal einen Pudding an die Wand.“ Erhard über Adenauer: „Mit dem Mann bin ich fertig.“ Am Ende war es der von Adenauer so hofierte Koalitionspartner FDP, der die Koalitionsfrage stellte. Nachdem über ein Jahrzehnt Rücklagen im Bundeshaushalt aufgebaut wurden, musste bei den Haushaltsberatungen für 1963 ein Ausgleich bereit gestellt werden. Das Angebot, Bundespräsident zu werden, lehnte Adenauer ab.

1904 erwarb er
ein Patent für Staubfilter

Was er uns hinterließ sind seine Memoiren, die er emsig und in seiner einzigartigen Sprache schrieb. Die Lust an der Natur, in seinem Garten zu arbeiten und die Tüftelei, immer wieder Neues zu erproben. Adenauer hatte bereits 1904 ein Patent über Staubfilter für Autos erhalten, er erforschte in den 30er Jahren, während seiner politischen Abstinenz, wie Abwärme über die Kanalisation in Wasserenergie umgesetzt werden könnte.

Im hohen Alter von 91 Jahren starb Konrad Adenauer am 19. April 1967. Als er 1904 heiratete, war er durch eine Lungenentzündung so geschwächt, dass keine Versicherung bereit war, mit ihm einen Vertrag abzuschließen. Seine letzte Reise war auf einem Schiff den stolzen Rhein an dem vom Kölner Dom zum Himmel zeigenden Türmen entlang. Unzählige Menschen gaben ihm die Ehre.