Alltag verdrängt die EM-Euphorie in Polen und der Ukraine

Stolze Polen sind von nur geringem Tourismus enttäuscht. Ukraine hofft trotz politischer Hypothek auf Aufschwung.

Warschau/Kiew. Europameisterschaft im Ausverkauf: Wer jetzt noch eine Kaffeetasse mit dem Blumenemblem der Euro 2012 braucht, bekommt sie zum halben Preis. „Aber wer braucht die noch“, fragt die Verkäuferin am EM-Stand eines Warschauer Kaufhauses. Die Souvenirs verwandeln sich in Ladenhüter.

Polen ist raus aus dem Turnier. Was für die Fußballer schon länger traurige Tatsache ist, gilt nun auch für den EM-Ausrichter insgesamt. Nach dem Halbfinale zwischen Deutschland und Italien nimmt der Co-Gastgeber heute Abschied von der Europameisterschaft. Der Tross zieht weiter zum Endspiel nach Kiew. Von Wehmut aber ist in Warschau wenig zu spüren. „Wir sind stolz auf uns, dass alles so gut geklappt hat“, sagt die Verkäuferin.

Die Gastgeber haben allen Grund zur Zufriedenheit. Vieles ist den Organisatoren bei dieser Ost-EM gelungen. Wenig ist schiefgegangen. Bitter waren die Bilder von prügelnden polnischen und russischen Hooligans. Doch solche Aussetzer sind bei Veranstaltungen dieser Größenordnung nie auszuschließen. „Wir können nicht neben jede Kneipe einen Polizisten stellen“, sagt Innenminister Jacek Cichocki. Am Ende steht die Erkenntnis: Die Sicherheit bei dieser EM war in Polen und auch in der Ukraine bis zum Finale gewährleistet, ohne dass dies zu größeren Unannehmlichkeiten für die Besucher geführt hätte.

Das gilt auch für den Bereich Transport und Verkehr. Flüge und Züge waren in Polen meist pünktlich, die Straßen frei und gut befahrbar. Klagen kamen kaum. „Wir hatten einfach eine tolle Stimmung hier“, sagen freiwillige Helfer auf der Warschauer Fanmeile. Begeisternd seien die Stadien gewesen: „Als die deutschen Fans zur Bernstein-Arena in Danzig kamen, hing überall das Wort ‚unglaublich‘ in der Luft“, heißt. Unglaublich schön. Allerdings kamen weniger ausländische Gäste nach Polen als erhofft. Von einer halben Million EM-Touristen berichtet die Zeitung „Rzeczpospolita“. Das wäre nur die Hälfte dessen, was die Veranstalter erwartet hatten.

Die Bilanz der ukrainischen Veranstalter fällt derweil demonstrativ positiv aus. Mehr als fünf Millionen Besucher seien in den drei EM-Wochen in die Ukraine eingereist, heißt es. Fast 100 000 Fahrkarten habe die Staatsbahn allein für die zehn nagelneuen koreanischen Hochgeschwindigkeitszüge verkauft, die zur EM im Einsatz waren. Wie viele Gäste davon Fußball-Touristen waren, ist aber offen. Und dass die regulären Züge zwischen Lemberg und Donezk noch immer 23 Stunden lang unterwegs sind, sollte auch nicht unerwähnt bleiben.

Dennoch erhoffen sich die Veranstalter im größten rein europäischen Flächenstaat einen „Barcelona-Effekt“. Die katalanische Metropole hatte von den Olympischen Sommerspielen 1992 erheblich profitiert und ist bis heute ein Magnet für Millionen europäische Touristen in jedem Jahr.

Ob der Ukraine ein solcher Erfolg auch gelingen kann, wird zuallererst von der weiteren politischen Entwicklung im Land abhängen. Die Nachrichten über Korruption in großem Stil, schwierige Arbeitsbedingungen vor allem in den Bergwerken, den massenhaften Mord an Straßenhunden, über rassistische Ausfälle von Fans und die Haft von Oppositionsführerin Julia Timoschenko werfen lange Schatten auf das Land.