Analyse: Guantanamo in Amerikas Herzland
Präsident Barack Obamas Gefängnispläne lösen in den USA Abwehrreflexe aus.
Washington. Das Weltgeschehen hat bisher einen Bogen um Thomson gemacht. Die örtliche Handelskammer bewirbt die Kleinstadt am Mississippi im US-Bundesstaat Illinois mit dem Slogan "Welthauptstadt der Melonen", die Früchte sind Thomsons wichtigstes Agrarprodukt.
Allerdings verfügt der 550-Seelen-Weiler auch über ein weitgehend leerstehendes Gefängnis, dem künftig eine zentrale Rolle in der Terrorabwehrpolitik der USA zufallen könnte. US-Präsident Barack Obama will hier, mitten in den USA, Gefangene aus dem Lager Guantanamo unterbringen lassen.
Doch Obamas Vorhaben stößt auf großen Widerstand - in Washington mehr als in Thomson selbst. In der Hauptstadt löste der Plan heftige Abwehrreflexe aus. Der republikanische Fraktionschef, John Boehner, kritisiert: "Die Amerikaner wollen nicht, dass gefährliche Terroristen auf den Boden der USA importiert werden."
Sein Parteifreund Mike Pence, ein Abgeordneter aus Indiana, fragt: "Wie kann die Schließung von Guantanamo uns sicherer machen? Wie werden unsere Familien sicherer, wenn wir mehr als 70 Terroristen in unser geliebtes Herzland lassen?" Senator Lindsay Graham - eigentlich ein Befürworter der Schließung von Guantanamo - wirft der Regierung vor, die Entscheidung zum Transfer der Gefangenen überstürzt zu haben: "Die haben die Orientierung verloren."
In ihrer Empörung präsentieren sich die Republikaner als Fürsprecher des Volkes - eine Rolle, die ihnen Obamas Sprecher Robert Gibbs nicht abnehmen will. Gibbs sieht einen gezielten Ausbruch politisch kalkulierter Hysterie: "Das ist Angstmacherei und Übertreibung, wie wir sie schon länger nicht mehr gesehen haben", sagt Gibbs. Die Gefangenen würden in Illinois weiter unter strengster Bewachung der US-Armee stehen: "Wenn es Bedenken wegen der Sicherheit gibt, sollen die Kritiker doch sagen, warum unsere Streitkräfte in Thomson nicht das leisten könnten, was sie derzeit in Guantanamo tun."
Die Zukunft Guantanamos ist für Obama ein heikles Problem, weil die Kritik von allen Seiten kommt. Während sich die Einwände der konservativen Opposition unter dem Schlagwort "Sicherheit" einordnen lassen, fassen Bürgerrechtler ihre Kritik unter dem Stichwort "Rechtsstaatlichkeit" zusammen. Sie bemängeln, dass die Terrorverdächtigen in Thomson ohne Anklage auf unbestimmte Zeit festgehalten werden sollen - in ihren Augen ein Verstoß gegen die Verfassung.