Analyse: Horst Köhler heizt die Krisenstimmung an

Mit Unverständnis reagieren die Politiker auf den überraschenden Rücktritt des Bundespräsidenten.

Berlin. Die politische Stimmung in Berlin wird von einem Wort beherrscht: Krise. Der überraschende Rücktritt des Bundespräsidenten Horst Köhler trifft die ohnehin schon seit Monaten geschwächte schwarz-gelbe Regierung von Kanzlerin Angela Merkel (Foto, CDU) empfindlich. Der Abgang des Staatsoberhaupts kommt angesichts nationaler und internationaler Krisen und unter dem Eindruck der Kriegsgefahr im Nahen Osten zu einem dramatischen Zeitpunkt.

Bei den Regierungsparteien herrscht Fassungslosigkeit. Köhlers Rückzug trifft selbst die Kanzlerin und Vizekanzler Guido Westerwelle (FDP) ohne Vorwarnung. Sie haben erst um 12Uhr von Köhler erfahren, dass er um 14 Uhr das Handtuch werfen wird. Merkel sagt: "Ich war überrascht von dem Telefonat und habe versucht, ihn noch einmal umzustimmen. Aber er wollte nicht umgestimmt werden."

Viele Koalitionspolitiker halten den Schritt des 67-jährigen ehemaligen Chefs des Internationalen Währungsfonds IWF für absolut überzogen. Mehr noch. Manche sprechen von "unverantwortlichem Handeln" eines Präsidenten. Der Anlass - die Kritik an seinen Äußerungen zum Afghanistan-Einsatz - sei eine Lappalie gewesen. Köhler habe "mimosenhaft" reagiert. Auch viele Menschen auf der Straße zeigen sich enttäuscht über ihren Präsidenten, zu dem sie wegen seiner oft klaren und volksnahen Worte Vertrauen gefasst hatten.

In Regierungsreihen wird eine Kurzschlussreaktion bei Köhler vermutet. Weggefährten berichteten schon früher, Köhler könne auch cholerisch und unberechenbar sein. Von "durch den Raum fliegenden Akten" war die Rede. Merkel wird kritisiert, sie habe Köhler nicht genügend gegen die Angriffe aus der Opposition in Schutz genommen. Dazu sagt die Kanzlerin, sie habe mit Köhler früh vereinbart, aus Respekt vor den Verfassungsorganen sich nicht gegenseitig zu kommentieren. "Das ist ein guter Brauch."