Atommeiler erst 2050 vom Netz?
Energie: Im Februar kämpfte Norbert Röttgen noch für kürzere Laufzeiten. Nun vollzieht der Bundesumweltminister eine Kehrtwende.
Berlin. Schwarz-gelbe Prüfaufträge, einzelne Atomkraftwerke bis zu 60 Jahre und damit bis zum Jahr 2050 zu betreiben, sorgen für Aufregung: Opposition und Umweltschützer sprachen gestern von "Lobbyismus" für die Energie-Konzerne und warnten vor enormen Sicherheitsrisiken, wenn Laufzeiten um 28 Jahre gegenüber der aktuellen Rechtslage verlängert würden.
Die Bundesregierung bestritt jede Vorentscheidung für eine Verlängerung der Regellaufzeit von derzeit 32 um weitere 28 Jahre. Es handele sich nur um Rechen-Modelle zwischen vier und 28Jahren Verlängerung, um den Strombedarf und die künftige Produktion für eine sichere Energieversorgung ermitteln zu können, so Vize-Regierungssprecher Christoph Steegmans.
Das Thema Atomkraft dürfte nach Expertenaussage auch zunehmend auf die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen am 9. Mai ausstrahlen. NRW-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU) pochte zwar gestern auf eine Laufzeitverlängerung, kündigte aber ein "neues, dezentrales Energiesystem" mit dem Ausbau von Ökoenergien an. "Kernenergie hat in Deutschland keine hohe Akzeptanz.
Deshalb hat der Bundesumweltminister Recht, wenn er sagt, dass sich die Entscheidung über die Laufzeitverlängerung aus der Frage der Sicherheit und der Frage des künftigen Energie-Mixes ableiten muss und nicht aus einer Gegenleistung", sagte Rüttgers, in dessen Land kein einziges Atomkraftwerk steht.
Die Führung der Unionsfraktion hatte der Bundesregierung vor Tagen aufgegeben, in die Modellrechnungen auch die Laufzeitverlängerung um 28Jahre einzubeziehen.
Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) war kürzlich mit dem Vorschlag, die Kernkraftwerke nur acht Jahre bis 2030 länger laufen zu lassen, auf erheblichen Widerstand in den eigenen Reihen gestoßen. Nach Informationen aus der Union lenkte er ein, auch wenn laut Umweltministerium selbst die Variante eines Verzichts längerer Laufzeiten - mindestens theoretisch - immer noch offen ist.
Nach der Vereinbarung Röttgens mit Wirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) und Kanzleramtschef Ronald Pofalla (CDU) aus der vergangenen Woche sollten im Vergleich zum unveränderten Atomausstieg 2022 zunächst nur vier Varianten mit 5, 10, 15 oder 20 Jahre längerem Betrieb durchgerechnet werden.
Das von den Atom-Befürwortern durchgesetzte Zusatzmodell wurde jetzt - gegen Röttgens ursprüngliche Absicht - in eine neue Modellstaffel integriert. Sie lautet: Ermittlung der energiepolitischen Folgen bei 4, 12, 20 und 28 Jahren Verlängerung. Darauf hätten sich die drei Regierungs-Mitglieder am Vortag telefonisch verständigt, sagte Steegmans.
Es gebe aber noch "keine Präferenz" für eines dieser Modelle. Der Naturschutzbund (Nabu) erklärte dazu: "Bevor der erste Wissenschaftler seinen Rechner anstellt, hat die Koalition bereits festgelegt, dass die Atomreaktoren in Deutschland länger laufen sollen als gesetzlich vereinbart."
Röttgens Vorvorgänger im Amt des Umweltministers, Jürgen Trittin (Grüne), erklärte: "Jede der alten Atomanlagen wie Neckarwestheim und Biblis A hat über 400 Störfälle in 30Jahren zu verzeichnen." Jede dieser Anlagen blockiere den Ausbau erneuerbarer Energien.