Bankenexperte Wolfgang Gerke: „Die Kontrollen sind zu lasch“

Nach den aktuellen Berichten über Steueroasen fordert Bankenexperte Wolfgang Gerke eine internationale Steuerfahndung.

Berlin. Nach den jetzt aufgetauchten Unterlagen sollen rund 130 000 Superreiche ihr Geld weltweit in Steueroasen versteckt haben. Bankenexperte Wolfgang Gerke macht sich im Gespräch mit unserem Berliner Korrespondenten Stefan Vetter für eine „Taxforce“, eine internationale Steuerfahndung stark, um die Steuerflucht zu bekämpfen.

Herr Gerke, ist das Dossier nur die Spitze des Eisbergs, oder handelt es sich tatsächlich um Enthüllungen von ungeahntem Ausmaß?

Wolfgang Gerke: Das Schwierige ist, dass bislang weder Wissenschaftler noch Statistiker oder Finanzbeamte wirklich Einblick in diesen Bereich haben. Deshalb sind auch die Volumina möglicher Steuerhinterziehungen völlig unklar. Zumal bei den aktuellen Unterlagen auch noch gar nicht fest steht, was legale und was illegale Steuervermeidung ist. Gleichwohl ist das Aufblühen der Steueroasen nicht wirklich überraschend.

Welche Ursachen sehen Sie?

Gerke: Hauptursache ist der vielfache Versuch, Steuern zu vermeiden und dabei gezielt Betrügereien zu begehen. Und das auf dubiosen Finanzplätzen, die das Geld bewusst anwerben. Möglich wird das durch lasche Kontrollen und mangelnde internationale Kooperation der Finanzbehörden.

Auch die Deutsche Bank ist durch die aufgetauchten Dokumente ins Zwielicht geraten. Welche Rolle spielen die Banken bei der Steuerhinterziehung?

Gerke: Der Wettbewerb der Kreditwirtschaft um vermögende Kundschaft ist immens. Ihnen als Dienstleister zur Verfügung zu stehen, ist ja auch nicht strafbar. Kriminell wird es dann, wenn das Geschäftsmodell einer Bank aktive Steuerhinterziehung vorsieht, Geldwäsche begünstigt, also Verbrecher anlockt. Die große Gefahr besteht allerdings darin, dass jetzt alles in einen Topf geworfen wird. Wer sich wo schuldig gemacht hat, das muss juristisch aufgearbeitet werden.

Inwiefern ist das aufgetauchte Dossier dafür hilfreich?

Gerke: Ganz wichtig ist, dass die Staatsanwälte Einblick in das Material bekommen. So verdienstvoll die Recherchen der Journalisten sind, aber sie sind keine Juristen. Unter dem Strich bleibt die Erkenntnis, dass es sich bei dem ganzen Vorgang um ein politisches Versagen der letzten Jahrzehnte handelt. Man hat nicht genug Druck auf die Steueroasen ausgeübt, ihre Praxis zu beenden. Nehmen wir die britischen Jungferninseln. Dort gilt britisches Recht. Das heißt konkret, ein EU-Staat wie Großbritannien hätte hier schon lange in seinem Rechtsbereich aktiv werden müssen.

Wie schätzen Sie die deutsche Rolle ein?

Gerke: Die Bundesregierung muss ein großes Interesse an der Bekämpfung internationaler Steuerflucht haben. Es ist ja Geld, was im Haushalt fehlt. Aber sie stößt dabei auch an Grenzen. So macht etwa ihre Forderung nach einer Finanztransaktionssteuer nur Sinn, wenn sie weltweit greift. Ansonsten werden Steuerparadiese erst recht gefördert.

Was müsste denn konkret geschehen, um Steueroasen auszutrocknen?

Gerke: Nötig ist eine internationale Steuerfahndung, eine Taxpol beziehungsweise eine International Taxforce nach dem Vorbild der Interpol. Ein normaler Steuerzahler, der die Möglichkeit der Steueroptimierung nicht hat und schon gar nicht die der Steuerhinterziehung, ist natürlich gestraft angesichts der gegenteiligen Praxis bei großen Vermögen. Verhindern lässt sich das nur, wenn die Zusammenarbeit auf internationaler Ebene funktioniert. Wie das geht, haben die USA vorgeführt, als sie die Schweiz zur Herausgabe von Steuerdaten zwangen. Bei kleineren Ländern wie etwa den Cayman Islands müsste das erst recht funktionieren. Aber leider ist das nie gemacht worden.