Becks Rücktritt: Das Drehbuch zum Königssturz

Wie die SPD einen Parteichef verlor und einen neuen alten aus dem Hut zauberte.

Düsseldorf. Ein Königsmord ohne Mörder, eine Palastrevolte ohne Strippenzieher, eine feindliche Übernahme ohne Hintermann? Wer eigentlich schrieb das Drehbuch für die Chaostage der SPD? Oder war das, was am Wochenende gleichsam wie ein Erdbeben über die SPD kam, am Ende doch nur eine unkontrollierbare Kettenreaktion, deren Ergebnis niemand voraussehen konnte? Klare Antworten gibt es noch immer nicht, aber immerhin können die entscheidenden Stunden recht detailliert rekonstruiert werden. Mehrere Medien schildern den Ablauf dieser Tage weitgehend übereinstimmend.

Am Donnerstag ist die Welt des Kurt Beck noch in Ordnung. Der SPD-Chef trifft sich in einem Bonner Hotel mit Frank-Walter Steinmeier und Franz Müntefering, um den Fahrplan für die Nominierung Steinmeiers festzulegen. Kanzlerkandidat Steinmeier soll am Sonntag bei der SPD-Klausur am brandenburgischen Schwielowsee vorgestellt werden. Müntefering, so Becks Vorschlag, soll im Wahlkampfteam eine hervorgehobene Stellung erhalten. Alle stimmen zu, Beck glaubt, alles sei gelöst und er habe die Sache im Griff.

Am Samstagnachmittag informieren Beck und Steinmeier die bis dahin noch nicht eingeweihten Peter Struck und Peer Steinbrück per Telefon. Doch am frühen Abend nimmt die Sache eine merkwürdige Wendung: Der Spiegel meldet die Nominierung Steinmeiers, alle Medien nehmen die Nachricht auf, und der Tenor ist stets der gleiche: Beck habe zu dieser Entscheidung "gezwungen" werden müssen, es sei Becks letzte Chance, unter Steinmeier seinen Parteivorsitz "zu retten".

Nun beginnen die Telefondrähte zwischen Beck, Steinmeier und Generalsekretär Heil zu glühen. Beck ist empört, er glaubt an ein "Intrigenspiel" der Vertrauten von Steinmeier und Müntefering. Diese wollten ihn als Getriebenen darstellen, um ihn "mürbe zu machen". Bei solcher Illoyalität könne er nicht weiter Parteichef bleiben. Er werde zurücktreten und Steinmeier auch als Parteivorsitzenden vorschlagen. Steinmeier sagt nein.

Am Sonntagmorgen gibt es zwei Bühnen, nur wenige Kilometer entfernt. Im Wellnesshotel am Schwielowsee trifft sich um 11Uhr das erweiterte Präsidium, nur zehn Kilometer weiter im Dörfchen Scherf kommen Beck, Steinmeier, Steinbrück, Struck, Nahles und Heil zusammen. Beck und Steinmeier unternehmen allein einen Spaziergang. Wieder trägt Beck dem Außenminister den Parteivorsitz an. Steinmeier sagt erneut nein. Zu diesem Zeitpunkt jedoch hatte Steinmeier offenbar schon Münteferings Zustimmung zur Übernahme des Postens eingeholt.

Nur davon wissen Beck und die anderen nichts, als sie sich in kleiner Runde wieder zusammensetzen. Beck bekräftigt seine Rücktrittsabsicht und lässt sich auch von Struck nicht umstimmen. Er schlägt wieder Steinmeier als Parteichef vor, alle unterstützen das, Steinmeier sagt wieder nein. Nun schlägt Beck Arbeitsminister Olaf Scholz als Parteichef vor. Steinmeier erwähnt jetzt erstmals Müntefering. Beck explodiert, ausgerechnet der Mann, dessen Verhalten in den vergangenen Monaten "nicht und in keiner Weise in Ordnung gewesen" sei, solle sein Nachfolger werden? Doch Steinmeier bleibt völlig unbeeindruckt: Müntefering soll Parteichef werden. Spätestens jetzt merken auch die anderen, dass die Sache schon längst zwischen Steinmeier und Müntefering abgesprochen war. Widerstand scheint zwecklos.

Beck macht dennoch einen letzten Versuch: Falls Steinmeier den Vorsitz übernehme, werde er, Beck, vor die Presse gehen und ihn als seinen Nachfolger vorschlagen. Müntefering vorzuschlagen, das könne niemand von ihm verlangen, das tue er nicht. Steinmeier beeindruckt auch das nicht mehr. Beck fährt nun kurz ins Hotel und verschwindet wenig später wortlos durch den Hinterausgang.

So soll der Ablauf gewesen sein. Doch in Erinnerung bleibt wohl vor allem der abschließende Auftritt von Frank-Walter Steinmeier vor der versammelten Presse. Mit traurigem Blick schaut da der gerade nominierte Kanzlerkandidat in die Runde und versichert, diese Vorgänge hätten ihn und seine Partei "schockiert".