Damals: Wie Carter die Koreakrise entschärfte

Könnte ein diplomatischer Coup den aktuellen Konflikt eindämmen? 1994 bewahrte der frühere US-Präsident den Frieden.

Washington. Retter in der Not war der ehemalige amerikanische Präsident Jimmy Carter. Es war Juni 1994, das Regime in Pjöngjang hatte gerade sein Atomprogramm intensiviert — in Washington schrillten die Alarmglocken. Später enthüllte der TV-Sender CNN, dass der damalige US-Präsident Bill Clinton sogar mit dem Gedanken eines militärischen Angriffs auf Nordkorea spielte. Von einem Krisenemissär Carter hielt er ursprünglich nicht viel.

Wie Carter seine Mission seinerzeit einfädelte, mutet an wie ein Husarenstück. Der gelernte Atomingenieur und Erdnussbauer, damals immerhin schon 69 Jahre alt, lud sich praktisch selbst ein — indem er in Pjöngjang freundlichst anfragte, ob eine Einladung aus früheren Jahren noch Bestand habe. „Carter und seine Ehefrau Rosalynn waren die Ersten, die die entmilitarisierte Zone von Südkorea nach Nordkorea und zurück überquerten“, vermeldet das Carter-Center noch heute stolz.

Zwar hatte die Clinton-Regierung Carter vor seiner Reise ausführlich informiert, dennoch sprach sie von einem „privaten Besuch“. Im Falle eines Scheiterns hätte Clinton noch die Möglichkeit gehabt, so zu tun, als habe er mit dem Vermittlungsversuch rein gar nichts zu tun.

Tatsächlich lief in Pjöngjang nicht alles so, wie Washington sich das erhofft hatte. Statt wie erwartet geräuschlos hinter den Kulissen zu sondieren, gab Carter — ein Mann mit erheblichem Sendungsbewusstsein — TV-Interviews. Und er scheute sich nicht, seine eigene Regierung zu kritisieren. Sogar zu einer öffentlichen Umarmung mit dem Machthaber Kim Il Sung ließ sich der Ex-Präsident hinreißen.

Aus dem Lehrbuch der diskreten Diplomatie waren die Auftritte nicht. Doch sie gaben Kim einen propagandistischen Erfolg, der ihm erlaubte, ohne Gesichtsverlust zuzusagen, den Atomwaffensperrvertrag einzuhalten, das Atomprogramm unter bestimmten Bedingungen vorübergehend einzufrieren und internationale Atominspektoren zu akzeptieren. Carter sagte Nordkorea dafür unter anderem seine Hilfe bei der Umstellung der Kernkraft auf Leichtwasserreaktoren zu, die militärtechnisch unbedeutsam sein sollten.

„Die Krise ist vorbei“, vermeldete Carter vollmundig. „Es war wie ein Wunder; beide Seiten haben exakt bekommen, was sie wollen.“ Über die tatsächlichen Ergebnisse der Carter-Reise gab es später allerdings unterschiedliche Einschätzungen. Doch Bescheidenheit war nicht Carters Sache — auch wenn man in Washington die Ergebnisse von Anfang an durchaus nüchterner beurteilte. „Carter hört, was er hören will“, kommentierte ein hochrangiger US-Regierungsbeamter nach der Rückkehr Jimmy Carters spitz. Und tatsächlich wurde der Atomstreit nie wirklich gelöst.

Doch immerhin: Der zeitweilig als blauäugig verschriene Carter schaffte es, die akute Krise erst einmal zu entschärfen. Die Eiseskälte zwischen der Supermacht und dem kommunistischen Regime wich für eine gewisse Zeit einem etwas milderen Klima. Wenn das heute einem Emissär gelänge, würden viele in den USA und in Asien erst einmal aufatmen. Allerdings scheint derzeit weit und breit kein neuer Carter in Sicht zu sein.