Herr Körzell, wie nehmen Sie die Ergebnisse des Klimagipfels von Kattowitz wahr?
Interview DGB-Vorstand: Klimapolitik gefährdet Arbeitsplätze
Berlin · „Man darf die Leute nicht alleinlassen“: DGB-Vorstand Stefan Körzell fordert im WZ-Interview mehr Unterstützung im Strukturwandel.
Stefan Körzell ist Bundesvorstandsmitglied des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB) und gehört der sogenannten Kohle-Kommission an, die ein Konzept für den Ausstieg aus der Braunkohleverstromung und für alternative Arbeitsplätze finden soll. Im Interview spricht der 55-Jährige über die Interessen von Arbeitnehmern angesichts einer immer fordernder werdenden Klimapolitik.
Stefan Körzell: Endlich gibt es ein Drehbuch, wie das Pariser Klimaabkommen umgesetzt wird. Jetzt geht es darum, wie die einzelnen Länder das abarbeiten.
Und wie sehen sie die von Brüssel geplante Absenkung des CO2-Ausstoßes um 37,5 Prozent?
Körzell: Dieser sehr massive Schritt kann dazu führen, dass die große Leitbranche in Deutschland in erhebliche Schwierigkeiten gerät. Wir sehen hier eine massive Gefahr für die Arbeitsplätze.
Wer Klimaschutz fordert, muss auch beim Auto etwas tun. Wer A sagt, muss auch B sagen.
Körzell: Dieser Logik verweigern sich die Gewerkschaften nicht. Aber wir sagen, dass Klimaschutz und Beschäftigung, also die sozialen Wirkungen, im Einklang stehen müssen. Wir dürfen unsere industrielle Zukunftsfähigkeit nicht gefährden. Es werden ständig Ausstiegsdebatten geführt. Warum wird nicht endlich mal eine Einstiegsdebatte geführt, nämlich über einen anspruchsvollen Netzausbau oder über Stromspeicher?
Meinen Sie, die deutsche Autoindustrie kann die Absenkung von 95 auf 60 Gramm CO2 je Kilometer nicht schaffen?
Körzell: Es wird durchaus sehr viele Innovationen geben. Die Frage ist nur, ob das so schnell geht. Hier ist jetzt eine Zahl festgesetzt worden, die durchaus verheerend wirken kann. Und zwar über die Autoindustrie hinaus. Noch haben wir, anders als etwa England, in unserem Land Wertschöpfungsketten, die funktionieren und auf die wir sehr stolz sind. Sie würden gefährdet.
Wie kann man den Strukturwandel in diesen Regionen denn
organisieren?
Körzell: Es muss eine Ansiedlungspolitik gemacht werden, die mit staatlichen Anreizen dafür sorgt, dass neue Unternehmen in diese Regionen kommen. Vor allem solche, die mit Energie zu tun haben. Die Menschen, die in den betroffenen Regionen arbeiten, wollen eine Perspektive für sich und für ihre Kinder. Dafür müssen auch genug Mittel zur Verfügung stehen.
Muss der Finanzminister seine Schatulle weiter öffnen, als er mit den eingeplanten 1,5 Milliarden Euro bisher vorhat?
Körzell: Die 1,5 Milliarden stehen ja nur zur Hälfte für die Braunkohlegebiete zur Verfügung, die andere Hälfte ist für das Thema gleichwertige Lebensverhältnisse eingeplant. Das Geld mag für Planungskosten reichen. Es reicht ganz sicher nicht für Neuansiedlungen, Investitionen in die Infrastruktur und die notwendigen Entschädigungen der Betreiber.
Dass der Strukturwandel am Ende gelingt, können Sie mit noch so vielen Milliarden nicht garantieren.
Körzell: Es ist nicht sicher, ob neue Arbeitsplätze entstehen. Aber man darf die Leute auch nicht alleinlassen, nach dem Motto: Wir machen jetzt Klimapolitik, wir schalten die Anlagen ab und wir versprechen, dass wir für euch schon noch was tun. Das haben die Beschäftigten schon zur Genüge erlebt. In der Lausitz hat man damals blühende Landschaft versprochen, und stattdessen ist bloß der Wolf gekommen. Jetzt müssen tatsächlich innovative Industrien her. Und Forschungseinrichtungen.
Wird die Kommission überhaupt bis Ende Januar ein einvernehmliches Ergebnis vorlegen?
Körzell: Das wird zwar noch eine große Kraftanstrengung, aber wir müssen es schaffen. Irgendwann muss auch mal Schluss sein mit der Debatte.
Wie stehen sie zu einer CO2-Bepreisung, wie sie die Umweltministerin fordert?
Körzell: Sehr kritisch. Ich komme aus einer ländlichen Gegend, aus Nordhessen. Die Menschen dort sind auf das Auto angewiesen, praktisch für alles. Der Bus fährt maximal drei Mal am Tag. Deshalb brauchen wir erst öffentliche Investitionen für Alternativen, gerade beim Personennahverkehr.
Könnte das zu ähnlichen Protesten führen wie in Frankreich?
Körzell: Dass es da ein Protestpotential gibt, das sehen wir. Ich kann nur davor warnen, den Menschen neue Kosten aufzubürden. Wir brauchen zunächst generell Entlastungen für die mittleren und unteren Einkommen. Und nicht zusätzlich neue Belastungen.