„Die Lage in Mali ist ruhig, aber nicht stabil“
Die Bundeswehr könnte schon bald in dem umkämpften Land im Einsatz sein. Dort zwingen Al-Kaida-Kämpfer Tausende zur Flucht.
Bamako. Der mögliche Ausbildungseinsatz der Bundeswehr im westafrikanischen Mali wird weiter heftig diskutiert. Nach einem vom Militär erzwungenen Regierungswechsel vor wenigen Tagen hat Bundesverteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU) nun Zweifel an der Mission angemeldet: „Ob der Ausbildungseinsatz der EU und unsere Beteiligung richtig sind, lässt sich erst nach intensiver Aufklärung der Lage beantworten.“
Im Frühjahr hatten Al-Kaida-Kämpfer die Kontrolle über den Norden des Landes übernommen. Hunderttausende Menschen sind seitdem auf der Flucht. Im Gespräch mit unserer Zeitung analysiert Annette Lohmann, Leiterin des Mali-Büros der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES), die Situation im Land.
Frau Lohmann, wie bewerten Sie die Lage im südlichen Mali nach dem erneuten Putsch?
Annette Lohmann: Ich würde nicht so weit gehen von einem wirklichen Putsch zu sprechen. Die Putschisten haben zwar den Premierminister und seine Regierung zum Rücktritt gezwungen, jedoch nicht selbst die Macht übernommen. Es besteht nun die Hoffnung, dass mit dem neuen Premierminister Diango Cissoko die politische Blockade in Bamako überwunden werden kann. Dennoch muss man festhalten, dass die Putschisten weiterhin bereit sind, sich jederzeit einzumischen und von einem Rückzug, der von der internationalen Gemeinschaft wie auch in Mali gefordert wird, kann nicht die Rede sein. Insofern ist die Lage zwar ruhig, aber nicht stabil.
Wie wirkt sich die Flucht Hunderttausender auf das Land aus?
Lohmann: Es befinden sich über 400 000 Menschen auf der Flucht in den Nachbarländern oder sind innerhalb Malis vertrieben. Mehr als 200 000 halten sich im Süden des Landes auf. Diese Situation ist sehr belastend, denn hier ist die Versorgungslage ohnehin schon schwierig.
Ist der westafrikanische Staatenbund Ecowas allein in der Lage, diese Probleme zu lösen?
Lohmann: Bei einer militärischen Intervention soll die malische Armee die zentrale Rolle spielen. Eine UN-Resolution fordert die Ecowas, die Afrikanische Union sowie die Nachbarstaaten Malis, bilaterale Partner und internationale Organisationen auf, Mali bei der Rückeroberung des Nordens zu unterstützen. Bei möglichen Verhandlungen mit zwei der insgesamt vier Gruppen, die den Norden kontrollieren, gibt es aber Probleme: Der von der Ecowas eingesetzte Vermittler, der burkinische Präsident, ist in Mali sehr umstritten. Ihm wird eine zu große Nähe zu einer der Rebellengruppen vorgeworfen. Internationale Begleitung dieser Gespräche wäre daher sinnvoll.
Welche Rolle kann die EU spielen?
Lohmann: Voraussichtlich Anfang 2013 soll mit einer Ausbildungskomponente der EU für die malische Armee begonnen werden. Dies ist wichtig und dringend erforderlich.
Ist es realistisch, dass Bundeswehr-Ausbilder die malischen Sicherheitskräfte trainieren, ohne selbst durch eigene Truppen geschützt zu werden?
Lohmann: Die Ausbildung der malischen Armee soll explizit im Süden und damit außerhalb des von verschiedenen Rebellengruppen kontrollierten Gebietes stattfinden.
Wie wird eine europäische Militärmission in Mali aufgenommen?
Lohmann: Die malische Reaktion ist sehr positiv: Die dringend benötigte internationale Unterstützung wird willkommen geheißen. Laut einer aktuellen Umfrage der Friedrich-Ebert-Stiftung in Mali befürworten 75 Prozent der Bürger Bamakos eine militärische Unterstützung Frankreichs und 79 Prozent eine der USA. Die politischen Akteure wünschen ebenfalls eine internationale Unterstützung.
Was braucht Mali jetzt am dringendsten?
Lohmann: Für die Wiederherstellung der demokratischen, verfassungsgemäßen Ordnung sowie der territorialen Integrität erwartet die internationale Gemeinschaft einen Fahrplan der malischen Übergangsregierung, aus dem sich konkrete Schritte ableiten. Hierfür ist eine politische Stabilität und vor allem Einigkeit unter den politischen Akteuren nötig. Darüber hinaus braucht Mali politische, wirtschaftliche und soziale Entwicklungsperspektiven — und zwar für alle Bevölkerungsgruppen.