„Ein Knall, dann wurde alles dunkel“
NSU-Opfer aus Köln sagt im Münchner Prozess aus.
München/Köln. Die Sekunden, die ihr Leben verändern, schildert die Deutsch-Iranerin in wenigen, klaren Worten. „Da war ein lauter Knall, helles Licht, dann wurde alles dunkel“, erzählt die am Mittwoch 32-Jährige am Mittwoch im Münchner NSU-Prozess. „Ich hatte Schmerzen. Ich konnte nichts sehen, weil meine Augen so zugeklebt waren von den Verbrennungen. Ich konnte nicht schreien, ich konnte nicht reden.“ An die Zeit von ihrer Ankunft im Krankenhaus bis zu ihrem Aufwachen aus dem Koma erinnert sie sich nicht. Die damals 19-Jährige liegt mehrere Wochen lang auf einer Spezialstation.
Die junge Frau ist neben dem Heilbronner Polizisten Martin A. das zweite Opfer, das einen Anschlag des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ knapp überlebte und nun als Zeuge vor dem Münchner Oberlandesgericht aussagt. Die Frau schildert das damals Erlebte in klaren Worten derart eindringlich, dass es im Gerichtssaal immer wieder ganz still wird. Die Hauptangeklagte Beate Zschäpe stützt praktisch während der gesamten Aussage reglos den Kopf auf die Hände und richtete den Blick starr nach unten.
Es ist der 19. Januar 2001, als die Tochter eines iranischen Ladeninhabers im Hinterzimmer des kleinen Kölner Geschäfts eine Christstollendose öffnet. Deponiert ist die Dose in einem Korb, den ein Unbekannter kurz vor Weihnachten 2000 dort zurückgelassen hat — laut Anklage war das entweder Uwe Mundlos oder Uwe Böhnhardt. Wochenlang steht der Korb dort — bis die damals 19-Jährige es nicht mehr aushält und die Dose öffnet.
Polizeibeamter über die schwer verletzte junge Frau
Zwischen Leben und Tod liegt für die junge Frau vermutlich etwa ein Meter: In der Dose sieht sie eine Gasflasche, ahnt nichts Böses. Sie geht um den Tisch, beugt sich nach unten und sucht in einer Schublade einen Spiegel, um sich für die Schule zu richten. Als die mit rund einem Kilo Schwarzpulver gefüllte Flasche wenige Sekunden später explodiert, ist sie den rettenden Meter weit weg. Eine Stichflamme verbrennt ihr aber Gesicht und Unterarme. Splitter übersäen ihre Haut. Ihre Trommelfelle platzen. Das Schwarzpulver brennt sich wie Tätowierungen in die Haut ein. Ein Polizist, der sie damals im Krankenhaus besuchte, sagt: „Es war einfach ein Bild des Grauens.“
Nachdem die junge Frau langsam aus dem künstlichen Koma geholt worden ist, schützt die Familie sie vor ihrem eigenen Spiegelbild. Erst einige Woche später sieht sie sich erstmals selbst. „Ich war blau-grün, ich war verbrannt, ich hatte Schnittwunden im ganzen Gesicht.“
Es folgen unzählige Operationen, aber die Narben bleiben. „Die sind alle noch sichtbar, wenn ich abgeschminkt bin“, sagt die Frau, die heute Ärztin ist. Schwierig sei zudem etwas anderes: „Man wird tagtäglich darauf angesprochen: Was ist denn mit dir passiert? Und dann steht man da und weiß nicht, was man darauf antworten soll.“