Eine Friedens-Taube für Erdogan
Integration junger Türken, Iran-Politik und EU-Mitgliedschaft: Viele Konfliktthemen für zwei Regierungschefs.
Istanbul. Mit einer aus Ton gebastelten Friedens-Taube als Geschenk versucht Bundeskanzlerin Angela Merkel, den türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan versöhnlicher zu stimmen. In der Sache nähern sich die beiden bei ihrem Gespräch aber nur geringfügig an. Bei wichtigen Themen wie möglichen Sanktionen im Atomstreit mit dem Iran, Integration der in Deutschland lebenden Türken und der türkischen EU-Mitgliedschaft bleiben sie uneins. Lediglich der Schulstreit um mehr türkische Gymnasien in Deutschland wird zu Beginn des zweitägigen Besuchs etwas entschärft.
Erdogan ist für Merkel ein schwieriger Gesprächspartner. Immer selbstbewusster trägt er seine Forderungen öffentlich vor. Sein Land hat in der Wirtschaftskrise weniger Federn gelassen als mancher der ärmeren EU-Staaten und baut nun Richtung Osten ein politisches und wirtschaftliches Netzwerk aus. In der arabischen Welt wird der islamisch-konservative Regierungschef Recep Tayyip Erdogan gefeiert, in der EU fühlt er sich als "Prügelknabe" behandelt.
"Heute kann die EU der Türkei nicht mehr sagen, sie könne als Mitglied nicht akzeptiert werden, weil die Wirtschaftskraft zu gering und das Land zu arm sei", sagte der türkische Wirtschaftsminister Ali Babacan vor einigen Tagen in Brüssel. "Dann haben wir das gute Recht, nach Erklärungen dafür zu fragen, was sie mit vergleichsweise armen Staaten wie Bulgarien und Rumänien vorhaben."
Allein mit dem Iran will die türkische Regierung das Handelsvolumen bis zum kommenden Jahr auf 20Milliarden US-Dollar mehr als verdoppeln. Den westlichen Partnern der Türkei, vor allem den USA, ist der Ausbau der Geschäfte mit dem Iran ein Dorn im Auge. Iran steht im Verdacht, sich unter den Deckmantel einer zivilen Nutzung Material für den Bau einer Atombombe zu beschaffen.
Erdogan aber sprach sich am Montag erneut gegen Sanktionen aus und nutzte die Gelegenheit für einen weiteren Seitenhieb auf Israel. "Aber gibt es in dieser Region andere Länder mit Atomwaffen? Ja. Aber gibt es Sanktionen gegen diese Staaten? Nein", sagte er in einer offensichtlichen Anspielung auf israelische Atombomben.
Mit Merkel lieferte sich der türkische Regierungschef vor ihrer Reise in Interviews einen heftigen Schlagabtausch um die Notwendigkeit türkischer Gymnasien in Deutschland. Dabei weist er mit einer gehörigen Portion politischer Chuzpe auf die Existenz deutschsprachiger Schulen in der Türkei hin.
Die fremdsprachigen Gymnasien in der Türkei existieren allerdings nicht zur getrennten Ausbildung von Minderheiten. Sie sind Eliteschulen für hochbegabte Türken und werden aus dem Ausland mitfinanziert. Es handelt sich genau genommen um eine Art Entwicklungshilfe, nicht um ein Zugeständnis der Türkei.
Die in Deutschland lebenden Türken sollen nach seiner Ansicht möglichst türkisch bleiben. Auch in der vierten oder fünften Generation sollen sie sich vor allem als Türken fühlen. Erdogan will, dass die Türken in Deutschland ihn als als ihren Ministerpräsidenten empfinden, nicht die deutsche Kanzlerin. Das ist der Kern des Problem.
Von Diplomatie versteht Recep Tayyip Erdogan so viel wie derWeihnachtsmann von Ostereiern. Einer Regierungschefin vor ihremStaatsbesuch vorzuwerfen, sie hasse die Türken, ist schlicht ungehörig.Man hätte verstehen könne, wenn Angela Merkel unter diesen Umständenauf die Reise verzichtet hätte.
Sie hat es, um des lieben Friedenswillen, nicht getan, weil sie weiß: Eine Eskalation des Streits würdeallen schaden, nicht zuletzt den in Deutschland lebenden Menschen mittürkischem Migrationshintergrund. Merkels Verantwortungsbewusstsein fürdiesen Teil unserer Gesellschaft ist offenbar deutlich ausgeprägter alsErdogans, dessen nationalistische Töne nur einem Ziel dienen:innenpolitisch zu punkten. Außenpolitisch hinterlässt er freilich einenScherbenhaufen. Jeder neue Wutausbruch entfernt die Türkei weiter voneiner EU-Vollmitgliedschaft. Damit schadet er allen Türken - überall.
alexander.marinos@wz-plus.de