Europas Wochen der Entscheidungen
Schicksalswahl in Griechenland, eine sich zuspitzende Krise in Italien und das EU-Gipfeltreffen: Der Juni ist ein wegweisender Monat für die EU und den Euro. Ein Überblick.
Brüssel. Entscheidende Wochen für Europas Zukunft: Zum Spitzentreffen Ende Juni haben die Staats- und Regierungschefs eine Serie heikler Ereignisse vor sich. Zudem müssen sie richtungsweisende Entscheidungen fällen.
Schon am Sonntag steht in Griechenland eine Schicksalswahl an. Laut Umfragen haben die Radikalen Linken (Syriza) die Chance, als stärkste Kraft aus der Parlamentswahl hervorzugehen.
Syriza-Chef Alexis Tsipras will zwar nicht raus aus dem Euro. Er wehrt sich aber gegen den harten Spar- und Reformkurs. Den verordneten die Europäer den Griechen im Gegenzug für Notkredite. Vom Pleite-Abgrund konnte der Staat bisher trotzdem nicht abrücken. Unsicher ist, ob Griechenland unter einer Syriza-Regierung den Euro behält. Sorgen kursieren, was andernfalls aus dem Euro-Raum würde.
Griechenlands Misere belastet auch Zypern, das eng mit dem Schuldenstaat verbandelt ist. Das kleine Land gilt als Kandidat für den Euro-Rettungsfonds. Bis Ende Juni muss Zypern 1,8 Milliarden Euro — diese Summe entspricht zehn Prozent seiner Jahreswirtschaftsleistung — auftreiben, um die „Cyprus Popular Bank“ aufzupäppeln.
Die Bank borgte Griechenland viel Geld. Rating-Agenturen sehen Zyperns Kreditfähigkeit derzeit auf „Ramsch“-Niveau.
Auch Italien, die drittgrößte Volkswirtschaft des Euro-Raums, rückt wieder in den Fokus. Das Land steckt in einer Rezession. Die Wirtschaft schrumpft seit drei Quartalen. Ein Hilfsantrag Roms könnte nur noch eine Frage der Zeit sein.
Mit Spannung wird das Ergebnis einer Auktion italienischer Staatsanleihen am Donnerstag erwartet. Rom musste zuletzt sehr hohe Zinsen zahlen, um sich ausreichend Geld am Kapitalmarkt zu besorgen.
Angesichts all dieser Brandherde merken Kanzlerin Merkel (CDU) und die anderen EU-Politiker, dass sie mit Mini-Schritten nicht weiterkommen. Auf ihrem Gipfeltreffen am 28. und 29. Juni wollen sie daher einen Arbeitsplan beschließen, wohin die EUsteuern soll. Das Bewusstsein wird stärker, dass die Gemeinschaft wohl umgebaut werden muss, um krisenfester zu werden. Die Politiker richten sich auf eine langwierige Prozedur ein.
Zum einen sollen zumindest die Euro-Staaten stärker zu einer Wirtschaftsunion zusammenrücken. Eine gemeinsame Währung, aber 17 nationale Haushaltspolitiken — das funktioniert auf Dauer nicht. Deutschland signalisiert Bereitschaft, der EU-Ebene mehr Mitspracherechte in der Wirtschafts- und Haushaltspolitik zu gewähren. Frankreich ist davon bisher nicht begeistert.
Kanzlerin Merkel hat nicht mehr nur den Bereich Wirtschaft und Finanzen im Auge. Vorige Woche setzte sie erstmals das Thema politische Union auf die Tagesordnung. Dies ist die Gretchenfrage, die noch keine Regierung ihren Wählern zu stellen wagte: Seid ihr bereit zum Sprung in einen europäischen Bundesstaat?
Elemente wären ein direkt gewählter EU-Präsident und eine neue Form gemeinsamer parlamentarischer Kontrolle. Chancen hätte das Projekt wohl allenfalls in einem „Kern-Europa”, also mit nur einem Teil der Mitgliedsstatten.