Gentechnik: Deutschland setzt die EU unter Handlungsdruck
Erstmals ernstzunehmender Widerstand gegen die Genpolitik der Brüsseler Behörden.
Brüssel. Die Brüsseler EU-Kommission steht bei der Zulassungen von Gen-Pflanzen erstmals vor ernstzunehmendem Widerstand großer EU-Staaten. Die Entscheidung von Bundeslandwirtschaftsministerin Ilse Aigner, den gentechnisch veränderten Mais Mon 810 nicht zuzulassen, dürfte in Brüssel für ein Umdenken sorgen.
Bislang hatten einzelne EU-Mitgliedsstaaten wie Österreich versucht, ein Anbauverbot gentechnisch veränderter Pflanzen zu erwirken. Doch immer, wenn die EU-Landwirtschaftsminister darüber verhandelten, stimmte oft nur die Hälfte der Minister für ein Gen-Verbot.
Nicht genug, befand jeweils die Brüsseler EU-Kommission und ließ das EU-Genehmigungsprozedere bislang einfach weiterlaufen. Sie hatte sich ohnehin zuvor stets grünes Licht von der EU-Behörde für Lebensmittelsicherheit (EBLS) im italienischen Parma geholt.
Die EBLS hatte bislang alle Zulassungen von Gen-Mais oder Gen-Kartoffeln für unbedenklich erklärt, zuletzt am 8. April. Darauf gestützt gab dann in Brüssel jeweils ein nicht-öffentlich tagender Ausschuss nationaler Experten und von EU-Beamten grünes Licht für den Pflanzenanbau, die Aussaat oder den Verzehr als Lebens- oder Futtermittel - selbst wenn die Hälfte der EU-Staaten dagegen votierte. Politiker wie Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD) hatten dieses EU-Prozedere bereits als undemokratisch kritisiert.
Mit Deutschland wächst nun die Zahl einflussreicher EU-Staaten, die schärfer kontrollieren und herkömmliche Pflanzen besser schützen wollen. Frankreich, Deutschland, Österreich, Ungarn und andere Mitgliedsländer hatten bereits einen Stopp für Mon810 unterstützt.
Mit Deutschlands endgültigem Nein ist jetzt eine "kritische Masse" für eine Blockade erreicht. Doch die EU-Kommission sieht sich "juristisch" weiter in der Pflicht, die Genehmigungsprozedur auf Wunsch von Gentechnik-Antragstellern wie dem US-Konzern Monsanto fortzusetzen.
Wie gespalten die EU bislang auftrat, zeigt die Zahl der genehmigten Feldversuche mit gentechnisch veränderten Pflanzen in den EU-Mitgliedsstaaten. Spanien und Frankreich haben mit Abstand die meisten Versuche erlaubt.
Doch in Paris hat längst ein Umdenken eingesetzt. Die Zahl der genehmigten Versuche sank 2007 und 2008 fast auf null, während Madrid 2008 stärker denn je genehmigte. Italien, einst Spitzenreiter bei Versuchsfeldern mit Gen-Tomaten, hat kaum noch neue Felder zugelassen.
Die Franzosen haben inzwischen genauere Untersuchungen mit Sorten wie dem Mon810 eingeleitet. Die Schädlinge entwickelten Resistenzen, und Mon810 verursache "langzeit-toxische Effekte" für Kleinlebewesen auf den Äckern, so das Ergebnis der französischen Behörden.
Die Österreicher gelten als die schärfsten Kritiker. Die Finnen haben es zwar mit Gen-Pflanzen versucht, aber keine Erfolge erzielt. Die Griechen haben nie den Gen-Anbau zu kommerziellen Zwecke genehmigt, auch nicht die Briten.
Die Niederländer haben zwar früh "Koexistenz-Regeln" zur Trennung von Gen-Anbau und herkömmlicher Pflanzung geschaffen, aber das kommerzielle Geschäft blieb aus.