Groschek: Das war kein Abnicken!

Der SPD-Landeschef spricht im WZ-Interview über die umstrittene Neuaufstellung der SPD in NRW, seinen anstehenden Abschied im Juni und Ex-Größen wie Schulz und Gabriel.

Will die NRW-SPD geordnet übergeben: Michael Groschek.

Foto: Zanin, Melanie (MZ)

Düsseldorf. Der Termin für das Gespräch in der Redaktion ist früh gewählt, der Stadtverkehr rollt nicht. Man findet sich trotzdem mühevoll zusammen. „Seit Schwarz-Gelb in NRW regiert, ist der Stau sogar in der Stadt“, sagt der SPD-Landeschef und ehemalige NRW-Verkehrsminister Michael Groschek nach seiner Ankunft und lacht sein Groschek-Lachen. Der 61 Jahre alte Oberhausener, Familienvater zweier erwachsener Kinder, ist seit dem 10. Juni 2017 Landesvorsitzender der SPD Nordrhein-Westfalen. Auf dem Landesparteitag am 23. Juni in Bochum soll ein Nachfolger her.

Herr Groschek, was waren Ihre persönlichen Momente der vergangenen Monate?

Michael Groschek: Für mich waren zwei Erfahrungen nachhaltig. Erste Erfahrung: In den Wahlkämpfen wurden an allen Haustüren in NRW drei Politikfelder genannt, um die wir uns deutlich mehr kümmern müssen: 1. Wie gelingt Integration? 2. Wie geht es weiter mit guter Arbeit? 3. Die Zukunft der Rente mit einer grassierenden Angst vor Altersarmut.

Und die zweite Erfahrung?

Groschek: Das war der letzte SPD-Bundesparteitag. Der wurde von vielen Beobachtern aus meiner Sicht fälschlicherweise als Dokumentation eines Zerwürfnisses missverstanden. Ich halte ihn im Gegenteil für eine Sternstunde der Demokratie. Es war das Zurückgewinnen eines öffentlichen Diskurses und die Absage an diese Pseudo-Demokratie in den Talkshows, wo nur Geschwätzigkeit dominiert. Ich wünsche mir mehr solcher Parteitage. Wenn dann aber abgestimmt worden ist, gilt es auch, diese Positionen nach außen und innen geschlossen zu vertreten.

Den Diskurs hat es bei der Neuaufstellung der SPD in NRW kaum gegeben. Kritiker sprechen von Entscheidungen im Hinterzimmer.

Groschek: Die vom Landesvorstand einstimmig eingesetzte Kommission hat den Arbeitsauftrag bekommen, ein abgestimmtes Tableau für die Parteispitze zu entwickeln. Die Kommission hat getagt und einstimmig gesagt: Ja, wir wollen, dass Sebastian Hartmann Kandidat für den Vorsitz und Nadja Lüders Kandidatin für das Amt der Generalsekretärin werden soll. Darüber entscheidet noch der Landesvorstand und am Ende natürlich der Landesparteitag. Einen Auftrag ernsthaft und gewissenhaft abzuarbeiten, ist nicht Hinterzimmer. Und außerdem ist es ohnehin naiv zu glauben, es gäbe auch nach der Erfindung von Twitter noch politische Hinterzimmer.

Wurde am Ende nicht einfach nur abgenickt?

Groschek: Das war kein Abnicken, sondern das Ergebnis von vielen Gesprächen. Es wurde ja über beide Personalvorschläge in der großen Runde diskutiert. Klar ist: Wir müssen zwingend unterschiedliche Ebenen in diesem Führungsgremium haben. Wir brauchen das Zusammenwirken von Kommune, Land und Bund — und eine angemessene regionale Abdeckung, denn wir dürfen nicht zur Partei der weißen Flecken werden. Die SPD in NRW ist bunt und vielfältig.

Was, wenn man sich genau davon verabschiedete und einfach die Besten nominierte? Halten Sie das für naiv?

Groschek: Nein, aber ich sehe keinen Widerspruch. Sehen Sie mal nach Niedersachsen, dort hat die SPD im Jahr der Tränen gegen den Trend eine Landtagswahl gewonnen. Und das, obwohl Stephan Weil dort eine sehr strukturkonservative Organisation hat, mit Bezirken nach altem Schrot und Korn. Es gibt viele erfolgreiche Politiker, die nie Karriere gemacht hätten, wären sie nicht Bezirksvorsitzende gewesen: Sigmar Gabriel, Hubertus Heil, Matthias Miersch. Auch die Strukturen der CSU sind sehr konservativ, aber zu meinem Bedauern nicht erfolgshemmend. Ich glaube: Wir brauchen eine regionale Zwischenebene, als Ort der Auseinandersetzung und des politischen Wettbewerbs.

Gehen Sie von weiteren Kandidaten für die Spitzenämter aus?

Groschek: Jedes SPD-Mitglied hat das Recht dazu. Aber nur ganz, ganz wenige haben auch die Fähigkeit und die Kompetenz.

Sie wollten zuerst den Kölner Landtagsabgeordneten Martin Börschel zum Landeschef machen.

Groschek: Ich will mich jetzt nicht zu anderen Personen äußern. Ich glaube, dass der Vorschlag Sebastian Hartmann ein sehr, sehr überzeugender ist.

Was zeichnet Hartmann aus?

Groschek: Ich kenne ihn seit vielen Jahren. Er hat eine sehr souveräne Art, Prozesse zu lenken und programmatisch zuzuspitzen. Und trotzdem ist er mit beiden Beinen in der Alltagswirklichkeit der Menschen. Er ist kein Papier-Tiger, der nur theoretisch durch die Zeitgeist-Wellen reitet. Wir brauchen einen klaren Kurs in der Führung, zugleich mit dem Tenor: Ich bin einer von euch.

Die Wahl zum Fraktionschef wird vorgezogen. Warum?

Groschek: Im Grunde ist die Kandidatenlage klar, deshalb spricht nichts dafür, die Wahl auf die lange Bank zu schieben. Das soll am 24. April stattfinden, bis zum 17. April sollen sich alle Kandidaten erklären.

Ist Marc Herter Ihr Favorit?

Groschek: Ich habe eine überzeugte Meinung, aber es ist jetzt nicht der Ort und die Zeit das auszubreiten.

Aus welchem Amt rekrutiert sich 2022 die SPD-Spitzenkandidatur?

Groschek: Erst kommt die Europawahl 2019, dann die Kommunalwahl, darauf folgt die erneute Wahl eines neuen Bundestages — und erst dann ist die Landtagswahl. Das ist also ein rein feuilletonistisches Interesse, wer 2022 unser Spitzenkandidat in NRW ist, um Armin Laschet zu schlagen. Unser Interesse ist jetzt, ein starkes Team auf den Platz zu bringen, das die Meisterschaft nach Hause bringen kann.

Warum sind Sie selbst nicht Minister im Bund geworden?

Groschek: Ich wäre der Widerspruch zum Prinzip „jünger und weiblicher“ gewesen. Wir haben jetzt in Berlin mit Svenja Schulze, Michelle Müntefering und Kerstin Griese drei Frauen aus NRW am Kabinettstisch. Und das finde ich gut.

Was wird aus Ihnen?

Groschek: Mal gucken. Mein Hund freut sich. Wie das bei meiner Frau ist, weiß ich nicht (lacht). Ich habe keine festen Pläne, was nach dem 23. Juni passiert.

Herr Groschek, gehört der Islam zu Deutschland?

Groschek: Die Diskussion lenkt ab von den eigentlichen Problemen. Wir haben unbestrittene Herausforderungen bei der Integrationspolitik. Und jetzt reden Unionspolitiker über Fachkräftemangel, die über viele Jahre verhindert haben, dass wir ein modernes Einwanderungs- und Zuwanderungsrecht bekommen. Die Verursacher stellen sich heute als Problemlöser dar. Daran muss man Menschen wie Jens Spahn und Alexander Dobrindt alltäglich erinnern. Vertreter der Parteien, die jetzt lamentieren, sind hauptverantwortlich dafür, dass der Staat strukturell geschwächt wurde. Die Bundesinnenminister der Union haben über Jahre einen Personalabbau bei der Bundespolizei zugelassen.

Sie sind mit diesen Politikern jetzt in einer Regierung. Das wollten am Ende auch Sie vehement.

Groschek: Wir haben einen politischen Regierungsalltag, der durch ein sehr gutes Drehbuch geregelt ist. Wenn dieser Koalitionsvertrag abgearbeitet wird, wird die SPD gute Arbeit geleistet haben. Daneben muss aber eine politische Auseinandersetzung stattfinden. Wir dürfen uns mit der Union nicht gemein machen. Das ist eine Arbeitsgemeinschaft für dreieinhalb Jahre. Die Union ist und bleibt politischer Gegner.

Es drohen große Verwerfungen zwischen Sozialdemokraten und den Konservativen in der Union.

Groschek: Das ist eine grundsätzliche Herausforderung — und kein politisches Schelmenspiel. Wer wie Spahn und Dobrindt im Jahr 2018 — 50 Jahre nach 1968 — die Befreiung von Spießigkeit und Doppelmoral als linksradikale Revolution diskreditiert, der outet sich selbst als rechter Konterrevolutionär. Das sind nicht nur gewollte Schlagzeilen, sondern ein tieferer kultureller Umstrukturierungsprozess, der von Teilen der Union geplant wird. Dem muss man entschieden entgegentreten. Die erschreckenderweise auch noch jungen Repräsentanten der Union wollen das Rad der Geschichte um 50 Jahre zurück drehen. Das als Mittel zu verstehen, die AfD aus den Parlamenten heraushalten zu wollen, ist abenteuerlich. Es ist genau das Gegenteil: Ein Kriechen auf der Leimspur der AfD.

Der politische Diskurs wird heute bei Twitter geführt.

Groschek: Soziale Medien werden von einigen zur Verbreitung von Hass und Androhung von Gewalt missbraucht. Schauen sie sich das an, was Donald Trump jeden Tag bei Twitter rausbläst. Das ist das Gegenteil von aufklärerischer Kommunikation. Parallel dazu gehen die meinungsprägenden Abo-Zeitungen zurück. Das ist eine Herausforderung für die politische Kultur insgesamt. Dazu gehört auch die Frage, welchen Beitrag die öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten leisten. Ist das, was wir als Inflation in Talkshows erleben, eigentlich noch der Auftrag, den wir mal im öffentlich-rechtlichen Raum formuliert haben? Wir müssen darüber sprechen, wie der Auftrag des Öffentlich-Rechtlichen neu formuliert werden kann.

Sigmar Gabriel hat gesagt, Politiker seien zu weit weg von den Menschen. Nachtreten eines Aussortierten?

Groschek: Das würde ich so niemals sagen. Aber Gabriels Äußerungen wirken oft zu pauschal. Ich hoffe, dass er seine Kraft künftig für die SPD und die Demokratie einbringt. Und ich bin sicher, er wird durch muntere Beiträge weiter auf sich aufmerksam machen.

Wird das künftig auch Martin Schulz tun?

Groschek: Ich hoffe. Das „Spiegel“-Buch ist eher das Gegenteil davon.

Am Ende, heißt es, haben Sie selbst Martin Schulz beigebracht, dass seine Karriere in Berlin vorbei ist.

Groschek: Martin Schulz hat eine sehr respektable und für ihn schwere Entscheidung getroffen. Das steht für sich selbst.