Analyse: Karlsruher Urteil kostet Länder Millionen
Der Umgang mit Gewalttätern muss reformiert werden. Sie sollen künftig besser betreut werden.
Berlin. Die Empörung war groß im vergangenen Sommer: Nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in Straßburg mussten mehrere verurteilte Gewalt- und Sexualverbrecher aus der Sicherungsverwahrung entlassen werden, obwohl sie noch als gefährlich galten. Eltern fürchteten um ihre Kinder. Anwohner protestierten mit Slogans wie „Vergewaltiger sollten keine Menschenrechte haben“ gegen ihre neuen Nachbarn.
In dieser aufgeheizten Stimmung einigte sich die Bundesregierung auf eine Reform der Sicherungsverwahrung, die Anfang 2011 in Kraft trat. Der Inhalt war halbherzig: So wurde die umstrittene nachträgliche Sicherungsverwahrung, die ohne Vorwarnung am Ende der Haft angeordnet wird, für Neufälle abgeschafft. Auf Druck der Union sollte sie aber für Menschen, die schon in Haft saßen, möglich bleiben. Den größten Missstand, dass die Sicherungsverwahrung zu sehr einer Haftstrafe ähnelt, beseitigte die Politik aber nicht.
Das Urteil des Karlsruher Gerichts vom Mittwoch lässt Bund und Ländern nun keine Wahl mehr: Sie müssen die Regelung reformieren — und zwar richtig. Zwar hat das Karlsruher Gericht dem Bund aufgegeben, die wesentlichen Leitlinien vorzugeben. Die Umsetzung ist jedoch Sache der Länder, die dafür auch die Kosten tragen müssen.
„Die psychologische oder psychiatrische Betreuung der Sicherungsverwahrten ist in der Praxis unzureichend“, kritisierten die Karlsruher Richter. Ein Täter in Sicherungsverwahrung, so gefährlich er auch sein mag, müsse auch die Perspektive einer Freilassung haben. Die Einrichtungen seien aber für Therapien einfach unzureichend ausgestattet. Gerade auch, um Therapie-Unwillige zu erreichen, müsse viel mehr Personal eingesetzt werden.
Nötig sind Sozialarbeiter, Arbeits-Therapeuten und Psychologen. Die Länder stellen sich auf Mehrkosten in Millionenhöhe ein. Nach Einschätzung des Tübinger Strafrechtsprofessors Jörg Kinzig ist es aber nicht unbedingt nötig, komplett neue Einrichtungen zu bauen. Man könne bestehende Angebote der Justizvollzugsanstalten nutzen — aber die Unterbringung müsse eben klar von der Strafhaft getrennt sein. Die Länder wollen das Thema bei der Justizministerkonferenz am 18. und 19. Mai in Sachsen-Anhalt angehen.