Angeklagter im NSU-Prozess vermutet weiteren Anschlagsversuch

München (dpa) - Einer der Angeklagten hat im NSU-Prozess die Vermutung geäußert, dass die Neonazi-Terrorzelle ein weiteres bisher unbekanntes Attentat in Nürnberg geplant hat.

Die mutmaßlichen NSU-Terroristen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt hätten ihm bei einem Treffen in Chemnitz erzählt, sie hätten „in Nürnberg in irgendeinem Laden eine Taschenlampe hingestellt“, sagte Carsten S. am Dienstag vor dem Oberlandesgericht München. Später habe er gedacht: „Es gab wahrscheinlich früher einen versuchten Anschlag.“

Wie die Zeitschrift „Stern“ auf ihrer Internetseite berichtet, gibt es Parallelen zu einem bisher nicht mit dem „Nationalsozialistischen Untergrund“ (NSU) in Zusammenhang gebrachten Rohrbombenanschlag in Nürnberg 1999: Tatsächlich sei dort eine Bombe in einer Gaststätte eines türkischen Betreibers explodiert, berichtet das Blatt unter Berufung auf einen Artikel aus den „Nürnberger Nachrichten“ von 1999.

Ein Helfer des Betreibers habe beim Toilettenputzen am 24. Juni 1999 einen etwa 30 Zentimeter langen Gegenstand entdeckt, der wie eine „Taschenlampe“ ausgesehen habe. Der 18-Jährige habe versucht, sie anzuknipsen - dann sei sie explodiert. Das Opfer habe Verbrennungen erlitten. Hinweise auf einen „ausländerfeindlichen Hintergrund“ habe es nicht gegeben. „Wir werden dieser Sache auf jeden Fall nachgehen“, sagte Bundesanwalt Herbert Diemer nach der Verhandlung. Im Ermittlungsverfahren habe S. keine Angaben hierzu gemacht.

Carsten S. sagte, er habe zunächst nicht gewusst, was Böhnhardt und Mundlos mit ihrer Andeutung meinten. „Dann kam Frau Zschäpe, und sie sagten "psst", damit Frau Zschäpe das nicht mitbekommt.“ Zuhause sei ihm der Gedanke gekommen, dass Böhnhardt und Mundlos in eine Taschenlampe Sprengstoff eingebaut haben könnten.

Die Aussagen des 33-Jährigen könnten die Hauptangeklagte Beate Zschäpe entlasten - demnach war sie möglicherweise nicht so stark in die Mordpläne eingeweiht wie von der Anklage angenommen. Denkbar wäre aber auch, dass sie zwar alles wusste, aber nicht mitbekommen sollte, dass Böhnhardt und Mundlos anderen davon erzählten. Die Bundesanwaltschaft wirft Zschäpe Mittäterschaft bei allen Verbrechen der Neonazi-Terrorzelle NSU vor, darunter zehn Morde.

Den Mitangeklagten Ralf Wohlleben belastete S. hingegen noch stärker als bisher. Nach einer Schlägerei habe Wohlleben berichtet, er sei einem Gegner „auf dem Gesicht rumgesprungen“. Der frühere NPD-Funktionär habe ihm zudem erzählt, dass Böhnhardt und Mundlos jemanden angeschossen hätten, sagte Carsten S. weiter. Er habe sich gedacht: Hoffentlich nicht mit der Waffe, die er beschafft hatte.

Wohlleben und Carsten S. sind wegen Beihilfe zu neun Morden angeklagt. Carsten S. war nach eigenen Aussagen Mittelsmann zwischen Wohlleben und dem untergetauchten NSU-Trio; er hatte die Pistole mit Schalldämpfer besorgt, mit der vermutlich neun Geschäftsleute ausländischer Herkunft ermordet wurden. Der 33-jährige Sozialpädagoge ist seit langem aus der Neonazi-Szene ausgestiegen. „Ich habe keine andere Wahl, ich will reinen Tisch machen, es geht nicht anders.“

Am Vormittag hatte die Bundesanwaltschaft auf Anfragen der Nebenkläger erläutert, dass insgesamt rund 500 Menschen aus dem dem möglichen Umfeld der Terrorzelle NSU überprüft wurden. Die Anklagebehörde hatte den Prozessbeteiligten bislang nur eine Liste von 129 Personen aus dem Umfeld vorgelegt. Es handele sich bei den neuen Akten um sogenannte Spurenakten, die für das Verfahren „null Bedeutung“ hätten, sagte Bundesanwalt Diemer. Die Akten könnten jedoch bei der Bundesanwaltschaft eingesehen werden. „Wir haben nichts zu verheimlichen.“

Nebenklagevertreter reagierten verärgert. Er verstehe nicht, „warum wir zuletzt eine Liste mit 129 Personen bekommen, wenn es eine aktuelle mit 500 gibt“, sagte Nebenklage-Anwalt Sebastian Scharmer.