Verfassungsrichter prüfen Krisenpolitik der EZB
Karlsruhe (dpa) - Der Streit um den Krisenkurs der Europäischen Zentralbank (EZB) beschäftigt nun auch Karlsruhe. Zum Auftakt seiner zweitägigen Verhandlung zeigte das Bundesverfassungsgericht am Dienstag Verständnis für Kritik, die Notenbank handele zu eigenmächtig.
Zugleich blieb aber die Frage offen, ob das Gericht überhaupt über die Klagen entscheiden kann. Die Kläger befürchten Milliardenrisiken für Deutschlands Steuerzahler - die EZB schaffe Fakten am Parlament vorbei. Mit ihrem Versprechen, den Euro um jeden Preis zu retten, verstoße die EZB gegen ihr Mandat: Die Notenbank finanziere verbotenerweise Staaten. Mit einem Urteil rechnen Experten erst in einigen Monaten.
Bei nationalen Entscheidungen könnten sich die Wähler immer an ihre Abgeordneten wenden, sagte Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle. „Das haben Sie nicht bei Entscheidungen, wie sie bei der EZB gerade getroffen werden.“ Der Bürger komme ihm in diesem Szenario ein bisschen blass vor, sagte Verfassungsrichter Peter Huber. Der Bundestagsvertreter Christian Callies erklärte, das Parlament habe sich ausführlich mit den EZB-Programmen beschäftigt.
Zentral geht es um das im September beschlossene Programm OMT („Outright Monetary Transactions“). In dessen Rahmen könnte die EZB unter Bedingungen theoretisch unbegrenzt Anleihen von Krisenstaaten kaufen. Bislang wurde in diesem Rahmen keine Anleihe gekauft, doch Kritiker halten allein den Beschluss für zu weitgehend.
Dieses „starke Signal“ an die Märkte sei notwendig gewesen, um unbegründete Sorgen vor einem Auseinanderbrechen der Währungsunion einzudämmen, sagte EZB-Direktoriumsmitglied Jörg Asmussen. „Aus unserer Sicht wären die Risiken des Nichthandelns größer gewesen. Die Europäische Zentralbank und ihre Entscheider sind sich der Grenzen ihres geldpolitischen Mandats bewusst.“ Intern seien die rechtlichen Weichen für die umstrittenen Staatsanleihenkäufe gestellt. „Wir könnten gegebenenfalls sehr schnell handeln“, sagte Asmussen.
Bundesbank-Präsident Jens Weidmann bekräftigte vor Gericht seine Kritik an dem Programm: „Es kann nicht Aufgabe der Geldpolitik sein, Zeit für fiskalisches Handeln zu kaufen.“ Weidmann hatte 2012 im EZB-Rat als Einziger gegen die Maßnahmen gestimmt.
In Karlsruhe geklagt haben unter anderen der CSU-Bundestagsabgeordnete Peter Gauweiler, vier als Euro-Skeptiker bekannte Ökonomen um Joachim Starbatty, die Bundestagsfraktion der Linken und der Verein „Mehr Demokratie“ mit mehr als 37 000 Bürgern.
Voßkuhle stellte zu Beginn der zweitägigen Verhandlung klar, das Gericht habe nicht über Zweck und Sinn der Rettungspolitik zu entscheiden: „Das ist und bleibt allein Aufgabe der Politik.“ Vielmehr werde zu klären sein, inwieweit die EZB unberechtigt Kompetenzen in Anspruch nehme.
Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) betonte die Unabhängigkeit der EZB. „Ich halte es für schwer vorstellbar, dass deutsche Gerichte unmittelbar über die Rechtmäßigkeit von Handlungen der EZB entscheiden könnten.“ Das berge die Gefahr, dass die EZB eine Vielzahl gegensätzlicher Vorgaben bekommen könnte.
Bundeskanzlerin Angela Merkel hat wie Schäuble keine Zweifel daran, dass sich die EZB mit ihren Beschlüssen im Rahmen ihres Mandats bewegt. Die Notenbank tue das, was notwendig sei, um die Geldwertstabilität zu sichern, sagte Merkel in Berlin.
Karlsruhe dürfe nicht wie so oft eine „Ja aber„-Entscheidung treffen, mahnte Gauweilers Prozessvertreter Dietrich Murswiek: „Jetzt hilft kein "Ja aber" mehr. Jetzt ist ein klares Nein gefordert.“ Die EZB beschädige die europäische Demokratie.
Den Weg für den deutschen Beitrag zum ebenfalls umstrittenen dauerhaften Euro-Rettungsschirm ESM hatte Deutschlands höchstes Gericht im Eilverfahren im September frei gemacht - allerdings mit Auflagen. Die Prüfung der Rolle der EZB behielt sich Karlsruhe für die Hauptverhandlung vor.