Angela Merkel: Die Meisterin der Moderation
Angela Merkel wird am Dienstag zum dritten Mal zur Kanzlerin gewählt. Die 59-Jährige weiß genau, wie sie ihre Macht einsetzen muss.
Berlin. Angela Merkel sammelt in ihrem Dienstzimmer große hölzerne Schachfiguren, jede einen halben Meter hoch. Sie stehen neben ihrem Besprechungstisch am Fenster.
Jährlich bekommt sie eine vom Verband der Waldbesitzer geschenkt. Acht sind es schon. Zwölf sind mit ihrer heutigen dritten Kanzlerwahl in Reichweite, bei 16 hätte sie so lange regiert wie Helmut Kohl.
Die britische BBC hat kürzlich ein verwundertes Porträt über diese 59-Jährige gesendet, die es zur mächtigsten Frau der Welt gebracht hat. Wie konnte so jemand so weit kommen? Wie konnte sie sich als Frau aus dem Osten durchsetzen und in jener Männerpartei-West halten, die die CDU war, bevor sie kam?
Im Wahlkampf sind die Reden von Angela Merkel und Peer Steinbrück analysiert worden. Was die Rhetorik angeht, verliert sie jedes Duell, sie kann Zuhörer in Sälen oder Marktplätzen nicht fesseln.
Auffällig aber war, dass die Kanzlerin deutlich häufiger als ihr Herausforderer Worte wie „gemeinsam“ benutzte, und dass sie deutlich häufiger Positionen ausbalancierte, also auch die Gegenargumente erwähnte. Die Analyse bringt Angela Merkels politische Begabung auf den Punkt: Sie ist die Meisterin der Moderation.
Ihre Machtbasis ist ein Dreieck aus Kanzleramt, Unions-Bundestagsfraktion und CDU, in dem diese Fähigkeit entscheidend ist. 30, vielleicht 40 wirklich wichtige Akteure. Das ist ihr Schachbrett. Angela Merkel ist die einzige, die es 13 Jahre lang als CDU-Vorsitzende geschafft hat, ihre Partei zusammenzuhalten und gleichzeitig ihre eigene Rolle als unentbehrliche Moderatorin immer weiter auszubauen.
Sie konnte das, weil ihr die Eigenschaften der politischen Zampanos fehlen: der Selbstdarstellungstrieb, das Dominanzstreben, die Geltungssucht. Das sind die Eigenschaften, mit denen sich ihre meist männlichen Konkurrenten gegenseitig ihr Grab schaufelten. Wenn nicht, half Merkel nach.
Norbert Röttgen hat es erfahren. Viele fürchten es. Im Moment ihres größten Triumphes, am Wahlabend, reichte ihr der bisherige Generalsekretär Hermann Gröhe auf der Bühne in der CDU-Zentrale eine Deutschlandfahne. Merkel gab die Fahne sofort weg. Bloß kein Triumphgehabe.
Niemand hat einen so scharfen Blick für Fettnäpfchen wie sie. Andere machen solche Fehler. Bei der Präsentation des Koalitionsvertrages vor der Bundespressekonferenz produzierten sich Horst Seehofer und Sigmar Gabriel neben ihr mit Witzchen und Sprüchen. Was hängen blieb, war, wie fast erhaben Merkel darüber lächelte.
Angela Merkel ist die unscheinbare Macht. Sie geht zum EU-Gipfel, den Euro retten oder Spanien zusammenfalten, und steht ein paar Stunden später im Supermarkt in Berlin-Mitte an der Kasse und packt den Einkauf ein. Ihr Mann will schließlich morgens sein Frühstück haben. Sie backt Kuchen auf ihrer Datsche in Brandenburg.
Will sie überhaupt mehr, als der einzige gemeinsame Nenner in einem Machtdreieck sein? Zu Beginn ihrer dritten und wohl letzten Amtszeit konzentriert sich Merkel fast nur noch darauf, die EU voranzutreiben. Von den Deutschen, so Merkels Wahlanalyse, ist sie nicht für innenpolitischen Mut gewählt worden, sondern dafür, dass sie ihnen das Gefühl gibt, Geld und Wohlstand zu schützen.
Dafür, dass sie alles immer zusammenhält und nicht viel passiert. Merkel nennt es Vertrauen. Seltsam unengagiert wirkte sie in den Koalitionsverhandlungen mit der SPD. Es gab keinen einzigen Punkt, wo sie gesagt hätte: Das will ich. Außer natürlich zum dritten Mal Kanzlerin werden.