„Fortschrittsprogramm“ Auf diese drei Themen setzt das neue SPD-Spitzenduo
Berlin · Wie will sich die SPD mit ihren neuen Vorsitzenden jetzt aufstellen? Und wie geht es weiter mit der Großen Koalition? Dazu beriet das erweiterte Präsidium gestern über Formulierungen für einen entsprechenden Leitantrag, der am kommenden Wochenende vom Bundesparteitag in Berlin verabschiedet werden soll.
Für Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans war die Teilnahme an der Gremiensitzung eine Premiere. Erstmals trafen sie mit der Fraktionsführung sowie SPD-Bundesministern und -Landesregierungschefs zusammen. Und weil der Bundesparteitag das neue Spitzenduo noch formal bestätigen muss, hatten sie dort eigentlich nur Gast-Status. Auch ist es kein Geheimnis, dass das Partei-Establishment mit übergroßer Mehrheit auf die unterlegenen Mitbewerber Olaf Scholz (Vizekanzler und Finanzminister) und die brandenburgische Ex-Abgeordnete Klara Geywitz gesetzt hatte. Ein schwieriger Spagat für die beiden Neuen, die im Gegensatz zu den Verlierern kein gutes Haar am Bündnis mit der Union ließen. Weil es zuletzt aber auch in den eigenen Reihen nicht an warnenden Stimmen vor überstürzten Entscheidungen mangelte, ist ihr Ton moderater geworden. Eine rasche Aufkündigung der GroKo lehnen Esken und Walter-Borjans mittlerweile ab. Im Vordergrund stehen jetzt inhaltliche Prüfsteine. Schon im Oktober hatte das Duo ein „Fortschrittsprogramm“ veröffentlicht, das sich nun auch im Leitantrag für den Parteitag widerspiegeln dürfte. Dabei geht es vornehmlich um drei Themen:
INVESTITIONEN: „Bis zu 500 Milliarden Euro zusätzlich“ sollen nach den Vorstellungen von Esken und Walter-Borjans bis 2030 für Bildung, Verkehrsinfrastruktur und Klimaschutz ausgegeben werden. Macht pro Jahr bis zu 50 Milliarden Euro. Dabei will man auch neue Kredite in Kauf nehmen. „Schwarze Null und Schuldenbremse sind kein finanzpolitisches Programm und kein eigenständiges Ziel“, heißt in dem sognannten Fortschrittsprogramm. Das Problem: Die Schuldenbremse ist im Grundgesetz verankert und könnte nur mit parlamentarischer Zwei-Drittel-Mehrheit revidiert werden. Außerdem ist die „schwarze Null“ nicht nur ein Markenzeichen der Union. Auch Olaf Scholz fühlt sich ihr verpflichtet. Bei einer Abkehr müsste Scholz wohl von seinen Regierungsposten zurücktreten, was die SPD erst recht zerreißen könnte. Hinzu kommt, dass der Bundeshaushalt für 2020 gerade erst verabschiedet wurde.
KLIMASCHUTZ: Esken und Walter-Borjans wollen einen Einstiegspreis für die C02-Bepreisung in Höhe von 40 Euro pro Tonne. Das Problem: Im Bundesrat wurde in der vergangenen Woche ein Einstiegspreis von zehn Euro beschlossen, wie es im Klimapaket der Bundesregierung vorgesehen war. Für eine weitergehende Lösung fand sich auch unter SPD-regierten Ländern keine Mehrheit. Allerdings ist das Klimapaket noch nicht vollends verabschiedet. Über das dazugehörige Steuergesetz wird noch im Vermittlungsausschuss von Bundesrat und Bundestag verhandelt.
ARBEITSMARKT: Die neuen Vorsitzenden wollen einen Mindestlohn von zwölf Euro. Das sei eine „gute Mindestorientierungsgröße“ für eine „selbstständige Lebensführung ohne aufstockende Leistungen“, heißt es in ihrem Forderungskatalog. Das Problem: Die Festlegung des Mindestlohns (aktuell 9,19 Euro) ist laut Gesetz einer unabhängigen Kommission aus Spitzenvertretern von Arbeitnehmern und Arbeitgebern vorbehalten. Auch fordert der Wirtschaftsflügel der Union im Gegenteil schon länger spürbare Entlastungen für die Betriebe.
Entscheidend ist dann auch, wie der Leitantrag formuliert ist, den man den Parteitagsdelegierten vorlegen will. Dem Vernehmen nach lag dem erweiterten Präsidium gestern ein Arbeitsentwurf vor, der keine Drohungen an die Union enthielt. Die endgültige Fassung soll aber erst am morgigen Donnerstag vom Vorstand beschlossen werden. Bis dahin finden noch zahlreiche Gespräche hinter den Kulissen statt. Für den Fall eines sich abzeichnenden Bruchs der GroKo holte CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer schon mal die Folterwerkzeuge raus: Bei der Grundrente (eine Herzensangelegenheit der SPD) werde die Union erst ins parlamentarische Verfahren einsteigen, „wenn klar ist, dass diese Koalition auch fortgesetzt wird“, erklärte AKK in einem Interview.