CDU für „Mindestlohn light“ - Opposition will mehr
Berlin (dpa) - Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihre CDU streben nach jahrelanger Ablehnung feste Lohnuntergrenzen von mindestens 6,90 Euro pro Stunde in Deutschland an. Die Partei will aber keinen vom Staat verordneten, bundesweiten gesetzlichen Mindestlohn.
„Wir wollen eine durch die Tarifpartner bestimmte und damit marktwirtschaftlich organisierte Lohnuntergrenze und keinen politischen Mindestlohn“, heißt es in einer Empfehlung der Antragskommission für den Parteitag im November in Leipzig.
SPD und Linke boten Gespräche an und forderten ebenso wie die Grünen rasche konkrete Schritte. Linke-Chef Klaus Ernst brachte einen „parteiübergreifenden Mindestlohnkonsens“ ins Spiel.
Bestimmen soll die Untergrenze nach dem Willen der CDU jeweils eine Kommission der Tarifpartner. Die Höhe soll sich am Tarifniveau der Zeitarbeit orientieren. Der Mindestlohn dieser Branche liegt bei 6,89 Euro pro Stunde im Osten und bei 7,79 Euro im Westen. Die geplante Untergrenze liegt weit unter bisherigen Vorschlägen zum gesetzlichen Mindestlohn. So will der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) 8,50 Euro.
CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe stellte in der ARD-Sendung „Bericht aus Berlin“ klar: „Es geht nicht um einen politischen Mindestlohn, es geht nicht um Lohnfindung im Parlament, sondern zwischen den Tarifparteien.“ Man müsse etwas für den Bereich der nicht tariflich gebundenen Arbeitsplätze tun. „Da greifen bisher die Regelungen nicht ausreichend.“ Der Union und ihrem Koalitionspartner FDP gehe es gemeinsam darum, „dass die Tarifparteien ihrer Aufgabe gerecht werden“.
Bundesarbeitsminister Ursula von der Leyen (CDU) betonte: „Die Frage ist nicht mehr, ob wir einen Mindestlohn haben werden, sondern wie man die richtige Höhe aushandelt“. Dies sähen viele Arbeitgeber inzwischen ähnlich, sagte sie der „Süddeutschen Zeitung“ (Montag). Ziel sei letztlich eine „marktwirtschaftlich organisierte Lohnuntergrenze, die weit weg vom Staat durch die Tarifparteien gefunden wird“. Dieses Verfahren habe sich bei den Mindestlöhnen, die jetzt schon für einzelne Branchen gelten, bewährt.
Aus dem Konrad-Adenauer-Haus hieß es, der Vorstoß sei eine Bewegung aus der Mitte der Partei und habe ihren Ursprung in einem Beschluss der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft (CDA) - es sei also kein von CDU-Chefin Merkel vorgegebener Kurswechsel.
Mit der Neuorientierung will die Partei auch mit Blick auf die Bundestagswahl 2013 offensichtlich verstärkt mit sozialen Themen punkten. Bisher war die CDU skeptisch gegenüber einer Festlegung von verbindlichen Lohnuntergrenzen. Weiterhin Bestand hat aber die Festlegung im Koalitionsvertrag, wo ein einheitlicher gesetzlicher Mindestlohn kategorisch abgelehnt wird.
Nach Angaben der „Welt am Sonntag“ trafen sich vergangene Woche CDA-Chef Karl-Josef Laumann und der Leiter des Parlamentskreises Mittelstand, Michael Fuchs, zu Gesprächen über dieses zwischen dem Arbeiter- und dem Wirtschaftsflügel umstrittene Thema. Sie kamen überein, dass eine Kommission der Tarifpartner die Lohnuntergrenze festlegen soll - so wie es nun auch dem Parteitag empfohlen wird.
Die SPD begrüßte die CDU-Pläne und bot Kanzlerin Merkel parteiübergreifende Gespräche an. SPD-Fraktionsvize Hubertus Heil sagte der „Braunschweiger Zeitung“, es sei gut, dass sich die CDU nach Jahren der Blockade beim Mindestlohn öffne. „Wir wollen aber konkrete Taten sehen, nicht nur warme Worte hören.“ Der Druck auf dem Arbeitsmarkt mache es notwendig, sowohl bei tariflichen Mindestlöhnen als auch bei einem allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn voranzukommen. Heil warnte die CDU davor, nur Nebelkerzen zu werfen. DGB-Chef Michael Sommer sagte, 8,50 Euro seien das Mindeste für eine Lohnuntergrenze, um ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen.
Linken-Chef Klaus Ernst forderte Merkel auf, noch in diesem Jahr die im Bundestag vertretenen Parteien und die Sozialpartner einzuladen, um einen Mindestlohnkonsens zu erreichen. „Angesichts des sich immer schneller ausbreitenden Niedriglohnsektors ist klar, dass wir beim Mindestlohn jetzt klotzen müssen und nicht kleckern dürfen.“ Grünen-Chef Cem Özdemir sagte: „Es ist höchste Zeit, dass die CDU ihren Widerstand gegen Mindestlöhne endlich aufgibt. Dass Menschen von ihrem Arbeitseinkommen leben können, ist eine zentrale Frage der Gerechtigkeit.“ Nun müssten gesetzgeberische Schritte folgen.
Immer mehr Deutsche bekommen trotz Vollzeitjobs nur Niedriglöhne. Mehr als jede dritte Frau und jeder zweite Jugendliche sind davon betroffen. Das geht nach Angaben der „Leipziger Volkszeitung“ aus bisher unveröffentlichten Zahlen der Bundesagentur für Arbeit hervor. Demnach hat die Zahl der Niedriglohnjobs 2010 bundesweit einen neuen Höchststand erreicht. Der Anteil der Vollzeitbeschäftigten, die bundesweit im Niedriglohnsektor arbeiten, liege bei 4,6 Millionen Menschen. Im Gastgewerbe und bei den Haushaltshilfen arbeiten demnach drei von vier Angestellten für Löhne unterhalb der Niedriglohngrenze. Diese liegt bei zwei Drittel des Durchschnittslohns. Im Osten Deutschlands sind das 1379 Euro, im Westen 1890 Euro.