Bundesregierung Die Koalition startet noch mal richtig durch

Union wie SPD fühlen sich unter Beobachtungsdruck und fällen derzeit im Rekordtempo wichtige Entscheidungen.

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Berlin. Angela Merkel kämpft mit internen Widerständen gegen ihre Flüchtlingspolitik, Sigmar Gabriel mit den Umfragewerten und Horst Seehofer mit sich selbst. Doch obwohl es in den Koalitionsparteien CDU, SPD und CSU heftig rumort, schnurrt die Regierungsmaschine derzeit wie ein Rasenmähermotor. Es ist der Frühling der Entscheidungen. Allein diese Woche wurde beschlossen: Ausweitung der Lkw-Maut, Wegfall der Störerhaftung, Reform der Leiharbeit. In der vorletzten Sitzungswoche war es ähnlich, als kurz nacheinander die Elektro-Autoprämie und das Bundesteilhabegesetz auf den Weg gebracht wurden.

Es gibt keinen Zweifel: Die Große Koalition befindet sich noch nicht im Wahlkampf, sondern im intensiven Arbeitsmodus. Das Kanzleramt hat gerade eine "Vorhabendokumentation" erstellt. Das Papier, das unserer Zeitung vorliegt, ist 114 Seiten dick und beschreibt Gesetz für Gesetz genau, wie weit man ist, was noch geschehen muss und wann die Entscheidung fallen soll. Von einer Erleichterung des Carsharing bis zur Änderung des Mordparagrafen. Offenbar haben beide Seiten, Union wie SPD, ein Interesse daran, den Koalitionsvertrag von 2013 komplett abzuarbeiten. Es gibt darunter auch noch einige dicke Fische: Das Gesetz zur Lohngleichheit von Frauen und Männern etwa oder die Reform des Erneuerbare Energien Gesetzes. Die Kabinettsklausur übernächste Woche in Meseberg wird wichtig werden.

Dass es noch immer so gut läuft, hat mehrere Gründe. Einer ist, dass sich die Regierungsmitglieder, von den Abteilungsleitern über die Staatssekretäre bis zu den Ministern, partei- und ressortübergreifend schon lange gut verstehen. Beide Koalitionspartner sind regierungserfahren. Es hakt zwar öfter mal fachlich, aber öffentliche Nickligkeiten wie zur Zeit der schwarz-gelben Koalition mit der FDP sind selten. Ähnlich ist es bei den Fraktionen. Der wichtigste Grund für die Harmonie aber ist: Die großen Volksparteien können sich Streit derzeit nicht leisten. Wegen der ernsten Lage nicht - Stichwort Flüchtlinge, Stichwort Terror, Stichwort Euro. Und wegen der politischen Stimmung im Lande nicht.

"Wir stehen unter hohem Beobachtungs- und Einigungsdruck", sagt einer der Beteiligten. Gemeint ist die Kritik an den Volksparteien generell, gemeint ist auch die AfD. In solchen Zeiten würden kleinliche Auseinandersetzungen nur abschreckend wirken. "Keine der beteiligten Parteien hätte etwas davon". Allerdings, es gibt auch einen "Profilierungsdruck". Nicht nur die eigenen Anhänger verlangen von ihrer Partei, dass sie "klare Kante" zeigt, auch bei den Politikverdrossenen entsteht bei zu viel Harmonie leicht der Eindruck, dass alle unter einer Decke stecken. Zwischen diesen beiden Polen jonglieren die Akteure derzeit. Meist lösen sie das Problem, indem sie sich mit ihren Positionen eine Zeitlang vorher aufplustern, um dann intern geräuschlos eine Lösung zu finden. Große Meisterschaft hat hier Horst Seehofer erreicht. "Er löst Probleme der Koalition, die es ohne ihn nicht gäbe", heißt es in Berlin süffisant.

Lange hält die produktive Phase freilich nicht mehr. Bei Themen, die nicht im Koalitionsvertrag stehen, etwa Schuldenerleichterung für Griechenland oder Visafreiheit für die Türkei, wird die Auseinandersetzung zwischen den Partnern schon jetzt grundsätzlicher geführt. Nach der Sommerpause beginnen zudem die Landtagswahlkämpfe in Mecklenburg-Vorpommern und Berlin und dann geht es gleich in die große Auseinandersetzung um Nordrhein-Westfalen über. Also gilt es die verbleibende Zeit umso intensiver zu nutzen. Die nächsten Wochen dürften daher noch entscheidungsreicher werden als die letzten.