Ehrenmord: Das Opfer ist oft ein Mann

Erstmals haben Forscher alle bekannten Fälle untersucht und Klischees enttarnt.

Berlin. Über die Hintergründe von Ehrenmorden gab es in Deutschland bislang mehr Vermutungen als Erkenntnisse.

Das Max-Planck-Institut hat im Auftrag des Bundeskriminalamts alle 78 Ehrenmorde analysiert, die zwischen 1996 und 2005 in Deutschland begangen wurden. Viele häufig diskutierte Vermutungen erwiesen sich als falsch:

Zwar stehen fast ausschließlich Frauen im Zentrum der Taten. Doch 43 Prozent der Opfer sind Männer. Häufig handelt es sich um den ungewollten neuen Partner von Tochter, Ehefrau oder Schwester.

Die Frau wird häufig zusammen mit dem Partner angegriffen. An den 78 Fällen waren 122 Täter (darunter neun Frauen) und 109 Opfer beteiligt.

Durch spektakuläre Fälle wie den Mord an Hatun Sürücü auf offener Straße im Jahr 2005 ist der Eindruck entstanden, dass die Zahl der Ehrenmorde zunimmt.

Laut Studie variieren die Zahlen dagegen kaum. In Deutschland kommt es pro Jahr zu zwölf Ehrenmorden. Insgesamt sterben jährlich 700 Menschen durch Tötungsdelikte.

Nur selten entziehen sich Täter einer Strafverfolgung. Mehr als die Hälfte hat sofort nach der Tat ein Geständnis abgelegt. 87 der 122 Täter wurden wegen Mordes oder Totschlags verurteilt, ein Teil war vermindert schuldfähig oder fiel unter Jugendstrafrecht.

Nur acht von ihnen haben sich in ihre Heimat abgesetzt. Die Mehrzahl der Täter stammt aus der Türkei (67 Prozent) sowie aus arabischen Ländern (12 Prozent).

Vor allem ein Motiv führt zum Ehrenmord: Wenn sich eine Frau aus einer — häufig arrangierten — Ehe löst und eine neue Beziehung eingeht oder von vorneherein darauf besteht, ihren Partner selbst zu wählen. Ein westlicher Lebensstil ist selten das alleinige Motiv.

Häufig heißt es, dass sich Migranten der zweiten und dritten Generation wieder verstärkt den Traditionen ihrer Heimat zuwenden. Ehrenmorde stehen demnach für die Rückkehr zu alten Werten.

Die Studie belegt das Gegenteil. Die Täter sind meist nicht in Deutschland aufgewachsen, sondern für eine arrangierte Ehe ins Land gekommen. Mit ihrer besser integrierten Frau können sie häufig nicht mithalten. Die Forscher schlussfolgern, „dass der Ehrenmord in der deutschen Gesellschaft nicht über Generationen hinweg fortleben kann“.