Interview mit Ernährungs- und Landwirtschaftsministerin Klöckner: „Ich setze nicht auf stimmungsgemachte Politik“
Julia Klöckner ist seit einem Jahr Ernährungs- und Landwirtschaftsministerin. Ein Gespräch mit der CDU-Politikerin über mehr Tierwohl, weniger Zucker und ihre Konkurrenz zu Umweltministerin Svenja Schulze.
Die 46-Jährige hat vieles angestoßen – und dafür auch Kritik geerntet. Ein Gespräch mit der CDU-Politikerin über mehr Tierwohl, weniger Zucker und ihre Konkurrenz zu Umweltministerin Svenja Schulze (SPD).
Frau Klöckner, was hätte besser laufen können in ihrem ersten Jahr?
Klöckner: Viel haben wir angepackt und erreicht, es war ein mit Themen sehr kompaktes Jahr. Wenn es um Ernährung, Tierwohl, Landwirtschaft geht, reden fast alle mit, haben schnell eine Meinung - selbst zu komplexen Sachverhalten. Das ist wie beim Fußball – es gibt tausende beste Trainer. Aber wir reden in der Gesellschaft noch zu wenig ehrlich über die Zielkonflikte.
Und die wären?
Wir wollen sichere Ernten und einwandfreies Obst, aber keine Pflanzenschutzmittel, hohes Tierwohl, aber wenig für Fleisch bezahlen, wir beklagen, dass immer mehr kleine Produzenten dicht machen, aber formulieren immer mehr Anforderungen an sie, was deren Wettbewerbsfähigkeit erschwert.
Haben Sie unterschätzt, wie groß die Lobbyinteressen sind?
Nein, denn zu jedem Thema gibt es unterschiedliche Interessengruppen. Deren Argumente müssen nicht automatisch falsch sein. Ich fühle mich aber nicht einer Gruppe, sondern dem Gemeinwohl, der Sache, dem Ausgleich verpflichtet. Ich mache keine Alles-oder-nichts-Politik, sondern binde die verschiedenen Enden zusammen, vom Produzenten bis zum Konsumenten.
Sie setzen in vielen Bereichen auf Freiwilligkeit. Machen Sie es der Wirtschaft damit nicht zu leicht?
Wann ist es eigentlich in Mode gekommen, dass wir glauben, je enger das staatliche Korsett desto besser?
Das war vermutlich schon immer so.
Ich setze auf Maß und Mitte, auf Verbindlichkeit - aber im Rahmen der europäischen Möglichkeiten, was erlaubt ist. Mein Tierwohlkennzeichen ist so aufgebaut wie das Bio-Siegel. Da sagt auch keiner, wir machen es der Wirtschaft zu leicht.
Von ihrem Tierwohllabel ist selbst der Bauernverband enttäuscht.
Der Bauernverband hätte das Tierwohlsiegel gerne weniger anspruchsvoll, ich verlange da zum Beispiel das Verbot der betäubungslosen Ferkelkastration oder mehr Platz für das Tier. Der Bauernverband will mit dem Tierwohl schon werben können, wenn lediglich der gesetzliche Standard eingehalten wird. Das ist aber zu wenig. Derjenige, der das staatliche Tierwohlkennzeichen nutzt und damit werben will, muss verpflichtend höhere Standards einhalten. Und die werden überprüft. Genau dieser Ansatz hat zum Beispiel in den skandinavischen Ländern zu mehr Tierwohl geführt. So wird es auch bei uns sein. Dann ist allerdings auch der Verbraucher gefragt. Denn die Mehrkosten kann nicht allein der Tierhalter aufbringen.
Sie kümmern sich auch um den gesundheitlichen Verbraucherschutz. Weshalb sind Sie gegen eine Zuckersteuer auf Softdrinks?
Wir gehen in Deutschland umfassender vor, sodass andere europäische Staaten das zum Vorbild nehmen wollen: Ich werde den Zucker-Zusatz in Baby-Tees verbieten, Babys brauchen das nicht. Darüber hinaus habe ich mit der Branche und der Wissenschaft überprüfbare Reduktionsziele bei Zucker, Salz und Fetten in Fertiglebensmitteln vereinbart. So wird es demnächst 15 Prozent weniger Zucker in Getränken, 20 Prozent weniger in Frühstückscerealien oder weniger Fette und Salz in Backwaren geben. Das ist ein Erfolg.
Das muss sich noch zeigen. Wie soll denn die Überprüfung konkret aussehen?
Wir kontrollieren mit einem Gremium, ob gemachte Zielvereinbarungen eingehalten werden. Und wir setzen auf Innovation und Forschung - Produkte müssen nicht nur gesund sein, sondern auch schmecken. Sonst machen wir die Rechnung ohne den Verbraucher. Wieviel Zucker man reduzieren kann, ohne dass der Geschmack und die Konsistenz ganz kippen, das können Sie ja nicht in einem Gesetz festschreiben, man muss ausprobieren und forschen. Damit habe ich auch unser Max-Rubner-Institut beauftragt, da nicht jeder kleine Bäcker das selbst leisten kann.
Wie ist eigentlich ihr Verhältnis zu Umweltministerin Schulze?
Wir arbeiten kollegial zusammen. Logischerweise haben wir unterschiedliche Arbeitsschwerpunkte. Die Enden müssen wir beide zusammenbinden, das, was fürs Gemeinwohl gut ist.
Man hat den Eindruck, dass die Umweltministerin ihnen häufig in die Parade fährt – Stichwort Wölfe.
Meine Kollegin steht stark unter Druck seitens der Umweltlobby, auch einiger Gruppen, die durch extreme Positionen Spendengelder sammeln. Beim Wolf habe ich eine Gesamtstrategie vorgelegt, die zum einen den Arten- wie auch den Herdenschutz im Blick hat, aber es auch rechtssicher ermöglicht, gefährliche Wölfe präventiv zu entnehmen. Wölfe haben keine natürlichen Feinde, und ich will, dass Freilandhaltung von Schafen weiterhin möglich ist.
Beim Schutz von Insekten hat ihre Kollegin ein Aktionsprogramm vorgelegt. Sie wollen erst mal ein Monitoring.
Wir haben im Koalitionsvertrag ein bundesweites Insektenmonitoring verabredet. Das gibt es bisher noch nicht. Daten, Fakten, Wissenschaft sind belastbarer als das Bauchgefühl, deshalb unterhalte ich in der Zuständigkeit meines Ministeriums auch ein Bieneninstitut.
Aber was machen Sie konkret?
Ich stelle in diesem Jahr meine Ackerbaustrategie vor. Dabei geht es um gesunde Böden, den Schutz der Artenvielfalt, die Präzisionslandwirtschaft - und die Sicherung unserer Nahrungsmittel. Es ist komplexer als mancher Überschriften- und Schlagzeilenfreund es wahrhaben will. Aber ich setze auf seriöse, faktenbasierte und nicht stimmungsgemachte Politik.