Gastbeitrag: Markenkerne für eine zukunftsfähige SPD
Im Beitrag für unsere Zeitung zeigt SPD-NRW-Chef Michael Groschek auf, wie die SPD die gesellschaftlichen und technologischen Herausforderungen der Zeit erkennen und weiterdenken muss. Ein Positionspapier.
Düsseldorf. In Nordrhein-Westfalen lässt sich die SPD-Entwicklung in vier Phasen untergliedern, die auch die Entwicklungen auf Bundesebene widerspiegeln.
Entwickelte sich die SPD bis 1966 zunächst zur Regierungspartei und erlebte bis 1985 ihre Blütezeit, markiert die danach einsetzende Demobilisierungsphase bis 2000 bereits eine Trendwende bei der Bindungskraft der Sozialdemokratie in ihrer Wählerschaft. Seit 2000 befindet sich die Sozialdemokratie in einer Krisenphase, die sich durch einen stetigen Rückgang in der Zustimmung der Wählerinnen und Wähler auszeichnet.
Der Niedergang in den traditionellen Hochburgen liest sich auch wie ein Kataster sozialkultureller Entfremdung. Die Globalisierungsverlierer dort haben ihre sozialkulturelle Heimat verloren: Sicherheit und Wertschätzung am Arbeitsplatz und im Stadtteil. Auch die SPD wird oft als Teil von „Die-da-oben“ empfunden. Dies wird auch als mangelnde Wertschätzung und Respektlosigkeit interpretiert und mit mangelnder Wertschätzung bei Wahlen beantwortet.
Der neue, einfachere Dienstleistungsarbeitsplatz bietet 1000 bis 1500 Euro weniger im Monat, im Vergleich zum alten Industriearbeitsplatz. Aus der guten Hoffnung des sozialen Aufstiegs wird häufig die Sorge vor sozialem Abstieg.
Heimat war für Ernst Bloch als Sehnsuchtsort, den noch niemand erreicht hat, das Synonym für demokratischen Sozialismus. So weit müssen wir nicht gehen, aber Heimat ist Sehnsuchtsort sozialer Geborgenheit und Sicherheit. Sie beginnt vor der Haustür, im Stadtteil. Gentrifizierung und Luxussanierung schaffen Heimatvertriebene. Heimat ist Zuhause und gute Nachbarschaft für Einwohner und Einwanderer. Wir dürfen nicht zulassen, dass Heimat zur Ausgrenzung missbraucht wird. Vielmehr müssen wir Sorge dafür tragen, dass Heimat erlebte und gelebte Solidarität im Alltag ist und bleibt. Diesem Anspruch kann Sozialdemokratie nur gerecht werden, wenn sie Ziele formuliert, die auch konkret umsetzbar und somit auch erlebbar für die Menschen werden.
Wir brauchen einen starken, gestaltungsfähigen Staat und handlungsfähige Städte. Die neoliberale „Privat-vor-Staat-Ideologie“ hat die Erosion der gesellschaftlichen Mitte beschleunigt, die Spaltung vertieft und gleichzeitig das Vertrauen in die Wirksamkeit staatlichen Handelns relativiert.
Politischer Anspruch und gesellschaftliche Wirklichkeit stimmen oft nicht überein. Der Personalmangel bei Polizei, Pflege und im Bildungsbereich; der Zustand von Infrastruktur und öffentlichen Gebäuden oder die private Vorsorge sozialer Sicherheit spiegeln dies wider.
National und europäisch müssen wir die Einheit von gerechten Steuern und öffentlicher Verantwortung und Investitionen weiter als einen Markenkern ausarbeiten.
Die SPD ist seit Godesberg keine Arbeiterpartei mehr, aber immer noch Partei der Arbeit. Die rasante Entwicklung der Digitalisierung lässt Politik mit ihrem Gestaltungsanspruch oft alt aussehen. Die meisten Menschen nutzen selbstverständlich die Vorteile eines smarten Alltags. Digitalisierung erleichtert das Leben. Digitalisierung ist zugleich politische Gestaltungsaufgabe, weil der Wandel tiefgreifend Arbeits- und Alltagswelt verändert und wir den Menschen Sicherheit im Wandel bieten wollen. Die technologische Innovation wird getrieben und vermarktet von wenigen, global agierenden Datenkonzernen. De facto zeichnet sich eine Oligarchie ab, die global eigenen Spielregeln folgt.
Deshalb brauchen wir ein globales Weltsozialabkommen, nach dem Vorbild des Weltklimaschutzes. Dem 24/7-Prinzip von Verfügbarkeit der Arbeitskraft muss die Stärkung der Autonomie von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern entgegengesetzt werden. Der Schutz vor Ausbeutung und Selbstausbeutung kann nur durch gesetzliche und tarifliche Weiterentwicklungen sichergestellt werden.
Nationale Lösungen können aber nur ein Einstieg sein. Europäische und globale Lösungen sind zwingend. Um soziale und demokratische Standards in Gesellschaft und Arbeitswelt zu verteidigen, bedarf es verbindlicher Vereinbarungen, auch global. Die Beteiligung der Beschäftigten am Haben und Sagen ist aktueller denn je. Das Gebot zur Humanisierung der Arbeit wird heute mit Work-Life-Balance übersetzt.
Wir brauchen eine Agenda des sozialen Fortschritts um soziale Demokratie und soziale Marktwirtschaft in der Globalisierung durchzusetzen. National und europäisch ist dies die herausragende Verantwortung der sozialdemokratischen Parteien.
So wie der Industriekapitalismus Wirtschaft und Gesellschaft entfesselt hat, so wirkt noch dynamischer der digitale Kapitalismus. Damals wie heute gilt es, Auswüchse zu zähmen und soziale Sicherheit zu garantieren.
Auch als politische Organisation bleibt die Sozialdemokratie nicht unberührt von gesellschaftlichen und technologischen Wandlungsprozessen. Glaubhaftigkeit können wir nur gewinnen, wenn wir auch als Partei mit diesen Prozessen Schritt halten und sie innerhalb der eigenen Organisation gestalten.
Immer mehr Menschen haben sich in den letzten Monaten dafür entschieden beizutreten und mit anzupacken. Sie wollen helfen, es besser zu machen und wir müssen ihnen die Möglichkeiten dafür geben. Dazu gehört die Verbesserung des Eintrittsmanagements und der Ansprache vor Ort.
Ideen vor der Zeit entstehen dort, wo diskutiert und debattiert wird. Ermuntern wir unsere Mitglieder und uns nahestehende Partner zur offenen und kontroversen Debatte: vor Ort und im Netz.
Engagierte in Kultur, Wissenschaft, Sport, Kirche sowie in Verbänden und Initiativen bereichern unser Land und die gesellschaftliche Debatte. Wir müssen wieder Plattform für sie und ihre Ideen werden.
In der SPD schlummern viele Potenziale. Wir werden sie stärker heben, durch die Förderung unserer Ehrenamtlichen, aber auch unserer Mandatsträgerinnen und -träger.
Unsere OberbürgermeisterInnen, BürgermeisterInnen, Landräte gehören auf den Platz. Wir brauchen ihre Erfahrung und Kompetenz in der Mitte der Partei.
Die Ästhetik und Kommunikation in Wahlkämpfen und im Politischen generell haben sich verändert. Die SPD muss ihr Wählerpotenzial besser ansprechen und wieder auf der Höhe der Zeit bei diesen Entwicklungen sein.