Gauck: Gewerkschaften für Demokratie unverzichtbar
Berlin (dpa) - Stabwechsel bei den Gewerkschaften: Auf Michael Sommer folgt Reiner Hoffmann. Bundespräsident Joachim Gauck würdigt die Arbeit der Gewerkschaften als Voraussetzung für das erfolgreiche Modell der Sozialen Marktwirtschaft.
Gauck bezeichnete freie und starke Gewerkschaften als unverzichtbar für den Erhalt von Demokratie und Sozialer Marktwirtschaft. Bei der Eröffnung des Bundeskongresses des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) sagte er, das beharrliche Eintreten der Gewerkschaften für Arbeitnehmerrechte, Mitbestimmung, Tarifautonomie und Sozialpartnerschaft seien wesentliche Stärken des erfolgreichen deutschen Wirtschaftsmodells.
Auf dem sechstägigen Bundeskongress wird an diesem Montag ein Nachfolger für den scheidenden DGB-Chef Michael Sommer (62) gewählt. Einziger Kandidat ist Reiner Hoffmann (58) von der IG Bergbau, Chemie, Energie (IGBCE).
Gauck sagte, die in Deutschland übliche „Kompromisskultur“ von Gewerkschaften und Arbeitgebern sei mühsam errungen worden und müsse auch immer wieder neu justiert werden. Der DGB-Bundeskongress falle in eine Zeit, in der „die Politik auf Kernanliegen deutscher Gewerkschaften eingeht und sie nun in Gesetze gießen will - darunter der flächendeckende Mindestlohn“.
Der Bundespräsident ging auch auf die aktuelle Debatte um die Tarifeinheit und den zunehmenden Einfluss kleiner Spartengewerkschaften ein. „Es darf nicht zu einer Entsolidarisierung in unseren Betrieben und Unternehmen kommen, nicht zu einer Beschädigung unseres bewährten deutschen Modells, indem einzelne Berufsgruppen ihre Schlüsselstellung missbrauchen, um Eigeninteressen gegen Gemeininteressen durchzusetzen.“
Gauck fügte hinzu, er sehe aber noch nicht, wie dieser Konflikt auf Dauer gelöst werden könne. Er werde deshalb die Diskussion auch innerhalb des DGB mit Interesse verfolgen.
Union und SPD wollen laut Koalitionsvertrag die Tarifeinheit in einem Gesetz regeln und festschreiben, dass künftig in einem Unternehmen nur die größere Gewerkschaft Tarifverträge abschließen kann. Das Vorhaben ist allerdings bei den Gewerkschaften umstritten. Sie wenden sich gegen eine mögliche Einschränkung des Streikrechts.
Ausdrücklich dankte der Bundespräsident Sommer für Hingabe, Hartnäckigkeit, Weitsicht und Kompromissbereitschaft während seiner zwölfjährigen Amtszeit. Sommer habe mit seiner „guten Arbeit der guten Arbeit von Millionen Menschen in Deutschland zu Respekt und Anerkennung verholfen“.
Die in den 90er Jahren manchmal spöttisch als „Dinosaurier totgesagten und totgeschrieben“ Gewerkschaften würden auch in Zukunft gebraucht, sagte Gauk weiter. Dass der DGB wieder Mitgliederzuwachs von jüngeren Menschen zu verzeichnen habe, freue ihn. Zur „Revitalisierung“ werde aber den Gewerkschaften zudem Offenheit für Wandel und Veränderungsfähigkeit abverlangt.
Sommer sagte in seiner Eröffnungsansprache, ohne das massive Drängen der Gewerkschaften stünden der Mindestlohn und die Rente mit 63 nicht auf der Tagesordnung der großen Koalition. „Wenn der Gesetzgeber die Tarifautonomie allerdings umfassend stärken will, gehört dazu zum Beispiel auch, dem Missbrauch von Leiharbeit und Werkverträgen ein Ende zu bereiten.“ Die Gewerkschaften hätten hier „noch dicke Bretter zu bohren“. Sommer bekräftigte zudem die Forderung der Gewerkschaften nach Ausweitung der Mitbestimmung - zum Beispiel auch in der mittelständischen Wirtschaft.
Berlins Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) wandte sich in seinem Grußwort gegen Forderungen nach weiteren Ausnahmen beim Mindestlohn. Von den Betrieben verlangte Wowereit mehr Ausbildungsbereitschaft. Niedrige Ausbildungsquoten in Unternehmen und gleichzeitiges Klagen über Fachkräftemangel passe nicht zusammen.