Höherer Einsatz beim Koalitionspoker
Vor den entscheidenden Verhandlungen wachsen die Widerstände bei Union und SPD.
Berlin. Die Wahrscheinlichkeit, dass die große Koalition scheitert, ist vor den entscheidenden zehn Verhandlungstagen mindestens genauso groß wie ein Zustandekommen.
Bei allen beteiligten Parteien wächst seit dem vergangenen Wochenende der Frust über den Verhandlungsverlauf und über das Verhalten der anderen.
Hauptverursacher ist die SPD. Ihr Parteitag in Leipzig hat gezeigt, wie groß die Skepsis an der Basis gegenüber einer Zusammenarbeit mit CDU und CSU ist.
Es gibt dort verbreitet die Sehnsucht nach einer reinen SPD-Politik in der Opposition. Und die heimliche Hoffnung, doch vielleicht schon früher als 2017 mit Linkspartei und Grünen Kanzlerin Angela Merkel (CDU) abzulösen.
Aber selbst wenn es Parteichef Sigmar Gabriel gelingt, die Funktionäre zu gewinnen, was er am Samstag mit einer fulminanten Schlussrede versuchte: Niemand weiß, wie die Mitglieder denken und beim Entscheid Anfang Dezember abstimmen.
Parteichef Sigmar Gabriel zog die Schraube der Bedingungen für eine große Koalition kräftig an und vergrößerte die Erwartungen. Flächendeckender Mindestlohn, abschlagsfreie Rente nach 45 Jahren, gleicher Lohn für gleiche Arbeit, Zurückführung von Leiharbeit und Werkverträgen, Stopp von Rüstungsexporten und doppelte Staatsbürgerschaft — „Ich will all das, was ich gesagt habe, entweder im Koalitionsvertrag sehen, oder ich werde ihn nicht vorlegen“, sagte er.
Doch warum sollte die Union der SPD entgegenkommen, wenn sie nicht sicher sein kann, dass so ein Programm von der SPD-Basis angenommen wird? Dann hätten die Christdemokraten für den bei einem Scheitern möglichen Wahlkampf oder wichtige inhaltliche Positionen für eine schwarz-grüne Koalition schon aufgegeben.
Der Unions-Wirtschaftsflügel ist strikt gegen den gesetzlichen Mindestlohn, erst recht wenn er deutschlandweit einheitlich ist. Bei der SPD wiederum ist das immer mehr zum Symbolthema geworden, neben der doppelten Staatsbürgerschaft.
In einigen CDU-Landesverbänden ist der Unmut so groß, dass dort nun laut „Spiegel“ Regionalkonferenzen geplant sind. Der Leipziger SPD-Beschluss, sich künftig für rot-rot-grüne Koalitionen zu öffnen, hat die Stimmung zusätzlich angeheizt.
Angela Merkel bekam den Unmut beim Deutschlandtag der Jungen Union zu spüren. Sie signalisierte ein Einlenken beim Mindestlohn und warnte ihre Partei davor, „rote Linien“ einzuführen.
Andererseits sagte sie wie Gabriel, dass sie nicht empfehlen werde, den Koalitionsvertrag zu unterschreiben, wenn er dem Land nicht helfe. Beide Seiten bewegen sich auf den Showdown der Verhandlungen zu. Risiko und Einsatz werden größer.