Juncker krempelt EU-Kommission um
Brüssel (dpa) - Der deutsche EU-Kommissar Günther Oettinger ist künftig für die Digitalwirtschaft in der Europäischen Union zuständig - damit stellen weder Deutschland noch Frankreich oder Großbritannien einen der wichtigen Vizepräsidenten der neuen Kommission.
Deren Präsident Jean-Claude Juncker hat Macht und Einfluss in seiner Behörde deutlich verlagert. Am Mittwoch stellte er die neue Mannschaft vor. „Ich bin sicher, dass dies ein Siegerteam ist“, sagte er in Brüssel.
Juncker bestimmte den bisherigen niederländischen Außenminister Frans Timmermans zum Ersten Vizepräsidenten. Den Posten gab es bisher nicht. „Er wird meine rechte Hand sein, er ist mein Vertreter“, sagte der Luxemburger Ex-Premier über Timmermans. Er soll sich auch um Bürokratieabbau, interinstitutionelle Fragen und Grundrechte kümmern.
Der bisherige Energiekommissar Oettinger (60) äußerte sich zufrieden über seine neue Aufgabe: „Ich bin nicht nur der Internet-Kommissar. Es geht um Forschung, es geht um Innovation.“ Er sei „glücklich, das zu machen, und ich bin vor allem auch motiviert und neugierig.“ Regierungssprecher Steffen Seibert begrüßte die Ernennung: „Das ist aus unserer Sicht sehr gut.“ In seiner neuen Funktion untersteht Oettinger dem Esten Ansip, der als Vizepräsident für den Gesamtbereich „digitaler Binnenmarkt“ verantwortlich sein wird.
Zu den Kommissaren, die unter der Koordinierung eines Vizepräsidenten arbeiten werden, gehört neben Oettinger auch Frankreichs Ex-Finanzminister Pierre Moscovici. Der Sozialdemokrat erhielt das Amt des Kommissars für Wirtschaft und Finanzen sowie Steuern und Zölle - trotz deutscher Bedenken wegen angeblich mangelnden Sparwillens.
Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) erklärte in Berlin, Moscovici falle die Aufgabe zu, „mit dazu beizutragen, das gewachsene Vertrauen in die europäische Fiskalpolitik weiter zu festigen“. Er habe volles Vertrauen, dass Moscovici diese Aufgabe gut erfüllen werde.
Hierarchisch über Moscovici wurde der für den Euro zuständige Vizepräsident Valdis Dombrovskis aus Lettland angesiedelt. Zugleich wurden Bereiche wie die Finanzstabilität aus Moscovicis Zuständigkeit ausgelagert. Damit und mit den Finanzmärkten befasst sich künftig der Brite Jonathan Hill.
Neben Timmermans als erstem Stellvertreter des Kommissionspräsidenten gibt es insgesamt sechs „normale“ Vizepräsidenten mit deutlich mehr Befugnissen als die übrigen Kommissionsmitglieder. Deren Arbeit wird von den Vizepräsidenten koordiniert. Im Gegensatz zu den Kommissaren des scheidenden Präsidenten José Manuel Barroso kann künftig kein einfaches Mitglied der Juncker-Kommission selbst ein Thema auf die Tagesordnung des wichtigsten EU-Gremiums setzen.
Die so herausgehobenen Vizepräsidenten sind Kristalina Georgiewa (Bulgarien/Haushalt und Personal), Alenka Bratusek (Slowenien/Energieunion), Jyrki Katainen (Finnland/Arbeit, Wachstum, Investitionen, Wettbewerbsfähigkeit), Valdis Dombrovskis (Lettland/Euro und Sozialer Dialog), Andrus Ansip (Estland/Digitaler Binnenmarkt) und Federica Mogherini (Italien/Außenpolitik).
Die Personalie Oettinger kritisierte die Grünen-Fraktionsvorsitzende im Europaparlament, Rebecca Harms, als „echte Fehlbesetzung“. Der Vize-Vorsitzende der Grünen im Bundestag, Konstantin von Notz, äußerte die Sorge, Oettinger werde sich nicht für eine progressive EU-Netzpolitik einsetzen, sondern vor allem der Durchsetzung der Interessen weniger großer Konzerne widmen.
SPD-Generalsekretärin Yasmin Fahimi sagte: „Ich beglückwünsche Günther Oettinger zu seinem neuen Amt, das für ihn hoffentlich kein Neuland ist.“ Vor allem müsse nun der Breitbandausbau zügig vorangetrieben werden.
Der Vorsitzende der eurokritischen Alternative für Deutschland (AfD), Bernd Lucke, kritisierte die Ernennung Moscovicis. Dies sei „ein direkter Angriff auf den Fiskalpakt und eine stabilitätsorientierte Haushaltspolitik“. Deutschland sei durch die Postenverteilung insgesamt „degradiert“ worden. Der FDP-Europaparlamentarier Alexander Graf Lambsdorff nannte die neue Kommission im Bayerischen Rundfunk eine „Ohrfeige für die Bundesregierung“.
Juncker machte deutlich, dass er keinerlei Widerstand gegen das veränderte Machtgefüge in der Kommission dulden werde. „Kommissare werden von den Mitgliedsstaaten vorgeschlagen, aber sie sind nicht Interessenvertreter ihrer Mitgliedsstaaten.“ Die EU befinde sich „in einer Erklärungskrise“. „Wir müssen die EU und die Kommission den Bürgern näherbringen.“ Dies sei „eine letzte Chance“ und erfordere bessere Koordinierung. Er wolle die Kommission „nicht präsidial, sondern kollegial führen“ und „in höherem Alter keine Karriere als Diktator beginnen“.