Koalition will rasche Steuersenkung - Länder bremsen
Berlin (dpa) - Die schwarz-gelbe Bundesregierung will noch vor der Sommerpause eine Steuersenkung von bis zu 10 Milliarden Euro beschließen. Die angestrebte Entlastung von Bürgern und Firmen soll voraussichtlich Anfang Juli offiziell verkündet werden.
Das erfuhr die Nachrichtenagentur dpa aus Koalitionskreisen. Union und FDP brauchen aber die Zustimmung der Länder, die massiv protestieren, weil sie finanzielle Belastungen fürchten. Selbst Ministerpräsidenten der Union drohten jedoch umgehend mit ihrem Veto. SPD, Grüne und Linke warnten angesichts von Rekordschulden vor Steuergeschenken auf Pump.
Nordrhein-Westfalens Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) wittert ein schwarz-gelbes Wahlkampfmanöver. „Steuersenkungen durch Schulden finanziert - so rettet Frau Merkel die FDP nicht. Wir werden in NRW eine Milliarden-Transfusion für die blut- und inhaltsleere FDP nicht mitmachen“, sagte Kraft dem „Tagesspiegel“.
Der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck (SPD) sagte den „Ruhr-Nachrichten“ (Donnerstag): „Es wird keine Mehrheit im Bundesrat für ein finanzpolitisches Vabanquespiel geben.“ Berlins Finanzsenator Ulrich Nußbaum (parteilos) kritisierte: „Wir können nicht mit dem Zeigefinger auf Griechenland zeigen, aber selbst die Kriterien des europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakts reißen!“ Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) äußerte sich in der „Financial Times Deutschland“ (Donnerstag) ähnlich: „Die Haushaltskonsolidierung hat Priorität. Für Steuersenkungen gibt es keinen Spielraum.“
Massiven Widerstand gibt es im Lager der CDU-Ministerpräsidenten. „Die Konsolidierung der Staatsfinanzen muss auch weiterhin Vorrang vor Steuerentlastungen haben“, sagte Saarlands Ministerpräsident Peter Müller. „Für Steuersenkungen, die auch die Einnahmen der Länder senken, sehe ich keinen Spielraum“, sagte Schleswig-Holsteins Regierungschef Peter Harry Carstensen (CDU) auf Anfrage der dpa.
Seine thüringische Amtskollegin Christine Lieberknecht sprach von einem schlechten Timing. „Man darf Aufschwung nicht mit Überschwang beantworten“, sagte sie der „Mitteldeutschen Zeitung“. Niedersachsens Ministerpräsident David McAllister (CDU) sagte in der „Welt“: „Die Länder können keine nennenswerten Einnahmeausfälle mehr verkraften.“ Hessens Finanzminister Thomas Schäfer (CDU) sagte auf Anfrage der dpa: „Im Moment wäre ein solcher Einnahmeverlust - für Hessen bedeutete dies rund 300 Millionen Euro - nicht leistbar.“
Regierungssprecher Steffen Seibert erklärte, es gebe noch keine festen Absprachen für ein Datum, ein bestimmtes steuerpolitisches Modell oder eine Entlastung um „X-Milliarden“. Ebenso gebe es keine Überlegungen, den Solidaritätszuschlag („Soli“) abzuschaffen.
Der CSU-Finanzpolitikers Hans Michelbach bestätigte allerdings die Größenordnung. „Durch die kalte Steuerprogression hat der Staat den Bürgern in den letzten zwei Jahren etwa zehn Milliarden Euro entzogen. Das ist genau die Summe, die wir den Leistungsbereiten in der Gesellschaft ab 2013 gerne zurückgeben möchten“, sagte er der „Rheinischen Post“ (Donnerstag).
Schwarz-Gelb kommt laut Seibert dank des starken Aufschwungs beim Abbau der hohen Staatsverschuldung aber gut voran. „Dieser Weg der Haushaltskonsolidierung wird uns an einem bestimmten Punkt zu den Spielräumen bringen, die wir brauchen, um Steuererleichterungen für kleine und mittlere Einkommen vornehmen zu können“, sagte Seibert.
Das Bundesfinanzministerium betonte, die Sanierung des Haushalts habe Vorrang. Die Regierung habe weiter „beeindruckende Lasten vor der Brust“. Es werde aber beim Aufstellen des Etats für 2012 und der mittelfristigen Finanzplanes intensiv daran gearbeitet, Spielräume für mögliche Entlastungen zu schaffen. „Wir müssen schauen, was machbar ist“, sagte Ministeriumssprecher Martin Kotthaus.
Im Mai waren die Steuereinnahmen erneut überraschend stark gestiegen. Die Neuverschuldung des Bundes könnte damit schneller sinken als geplant. FDP-Chef Philipp Rösler sagte im NDR, dies sei jetzt genau der richtige Zeitpunkt, um solche Debatten zu führen. „Da sind wir uns, die Kanzlerin und ich - vollkommen einig.“
Aus Koalitionskreisen hieß es, voraussichtlich würden die Steuersenkungen in der Kabinettssitzung am 6. Juli offiziell beschlossen. Dann sollen auch der Haushaltsentwurf 2012 und die Finanzplanung von Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) bis 2015 von der Regierung beschlossen werden. Schäuble hatte zuletzt betont, Steuersenkungen gebe es nur bei finanziellen Spielräumen.
Geplant ist vor allem eine Entlastung unterer und mittlerer Einkommen. Dies könne über eine Abflachung des „Mittelstandsbauchs“ und der „kalten Progression“ bei der Einkommensteuer geschehen. Die „kalte Progression“ ist eine Art heimliche Steuererhöhung. Dabei werden Lohnzuwächse durch die höhere Einkommensteuerbelastung größtenteils wieder aufgezehrt.
Die CSU rechnet mit Entlastungen vor allem zugunsten mittlerer Einkommen. „Ob wir es schon schaffen zum 1. Januar 2012 oder ein Jahr später, das werden wir in den nächsten Tagen intensiv erörtern“, sagte CSU-Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt der dpa.
Um eine Steuersenkung im Bundesrat durchzusetzen, will die FDP vor allem die SPD mit ins Boot holen. „Die Sozialdemokraten müssen übertriebene oppositionelle Abwehrreflexe überwinden“, sagte FDP-Generalsekretär Christian Lindner der dpa.
SPD-Fraktionsvize Joachim Poß sagte, Schäuble müsse erst noch den Nachweis erbringen, ob es Spielräume gebe und die Schuldenbremse eingehalten werden könne. Es gebe noch „eine Vielzahl offener Fragen“. Poß warf Kanzlerin Angela Merkel (CDU) vor, sich „in den Schlepptau der FDP“ begeben zu haben.
Grünen-Fraktionschefin Renate Künast kündigte Widerstand an. „Grüne werden sich in Bund und Ländern gegen die unseriösen Steuersenkungspläne stemmen“, sagte sie der dpa. Die Kommunen wollen ebenfalls nicht mitspielen. Der Hauptgeschäftsführer des Städte- und Gemeindebundes, Gerd Landsberg, sagte „Handelsblatt Online“: „Wir sehen kaum Spielraum für Steuerentlastungen, zumal Bund, Länder und Gemeinden insgesamt mit zwei Billionen Euro verschuldet sind und trotz guter Konjunktur auch in diesem Jahr neue Schulden machen werden.“