Telefon des Opfers abgehört Kritik im NSU-Prozess: Hinweise auf Terroristen ignoriert

München (dpa) - Im Münchner NSU-Prozess haben die Anwälte der Angehörigen der Terroropfer des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ am Dienstag ihre Plädoyers fortgesetzt - mit erneut massiven Vorwürfen gegen Behörden.

Foto: dpa

Die Nürnberger Polizei habe zehn Jahre lang gegen die Familie des ersten NSU-Mordopfers, Enver Simsek, ermittelt, sagte die Anwältin der Familie, Seda Basay, in ihrem Plädoyer. Zeugenaussagen, die auf die wirklichen Täter Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt deuteten, seien dagegen ignoriert worden.

Basays Plädoyer musste bereits am Mittag unterbrochen werden, weil der Mitangeklagte Ralf Wohlleben über Rückenschmerzen klagte. Dessen Verteidiger kündigten außerdem einen neuen Beweisantrag an, der am Dienstag aber noch nicht gestellt wurde. Noch nicht zu Wort kam auch der Sohn des Mordopfers, Abdulkerim Simsek. Am Rande des Verfahrens sagte er, er habe sich vom NSU-Prozess mehr versprochen. „Hundertprozentige Aufklärung - das war von Anfang an mein Ziel, aber das bekommen wir leider nicht.“

Enver Simsek war am 9. September 2000 von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt an einer vielbefahrenen Straße in seinem Transporter erschossen worden. Er hatte dort einen Blumenstand aufgebaut. Er war das erste von neun Mordopfern, die die beiden NSU-Terroristen aus rassistischen Motiven erschossen haben. In einem Bekennervideo, das als Beweismittel in den Prozess eingeführt wurde, ist ein Foto zu sehen, das die Täter unmittelbar nach der Tat von ihrem am Boden liegenden Opfer schossen.

Anwältin Basay warf den Ermittlern vor, sie hätten als mögliche Motive für den Mord an Simsek nur Eifersucht, Drogenhandel oder Schutzgelderpressung gelten lassen. Hinweise, die auf fremdenfeindliche Täter deuteten, hätten sie nicht in Betracht gezogen.

Aussagen von Augen- und Ohrenzeugen des Mordes habe die Polizei ignoriert. Die Zeugen hätten von zwei Männern gesprochen, die dunkel gekleidet gewesen seien und Radlerhosen getragen hätten. Ein Zeuge habe gesehen, wie einer der beiden einen in der Seitentür des Transporters sitzenden Mann in das Fahrzeug geschubst habe. Mehrere Zeugen hätten beim Vorbeifahren „blechern klingende Schläge“ gehört - wohl die neun Schüsse, von denen acht trafen.

Einmal hätten die Ermittler ein farbiges Pärchen in einem silberfarbenen Mercedes als mutmaßliche Täter beschuldigt. Der Verdacht habe sich nicht bestätigt. Das Auto sei von einem Beamten auf einem Polizeifoto als „Negerauto“ bezeichnet worden.

Gleichzeitig seien Telefon und Autos der Familie Simsek rund ein Jahr lang überwacht worden. Die Polizei habe mit einem Großaufgebot die Wohnung der Familie in dem kleinen Ort Schlüchtern in Hessen durchsucht. Das hätten alle Nachbarn mitbekommen und darüber geredet.

Als der NSU im November 2011 nach einem missglückten Bankraub der beiden Terroristen Mundlos und Böhnhardt aufflog, da habe die Familie nicht von der Polizei erfahren, dass der Mord an Enver Simsek endlich aufgeklärt sei. Vielmehr hätten die Kinder das im Radio gehört und der Mutter mitgeteilt.

Simseks Sohn Abdulkerim sagte gleichwohl, er fühle sich seinem Geburtsland Deutschland zugehörig. „Das ist mein Land, ich stehe zu meinem Land“. Aber das, was „falsch läuft, muss sich ändern“. Das Plädoyer der Anwältin der Simsek-Familie soll an diesem Mittwoch fortgesetzt werden. Dann will auch der Sohn vor Gericht sprechen.