Lebensmittelexperte: „Auto ist den Deutschen wichtiger als Essen“
Die Verbraucher kaufen gern günstig. Tragen sie deshalb Mitschuld an Skandalen?
Bonn. Ob Pferd, Ei oder Milch — Lebensmittel-Skandale lassen Verbraucher aufschrecken, aber sie sind es, die günstige Lebensmittel kaufen und so das Angebot gestalten. „Wer billig kauft, befördert billig“, sagt Christel Happach-Kasan, Sprecherin für Ernährung und Landwirtschaft der FDP-Bundestagsfraktion, und kritisiert: „Die Wertschätzung für Lebensmittel ist in Deutschland nicht so hoch wie sie sein sollte.“
Tatsächlich gibt ein deutscher Haushalt im Schnitt nur elf Prozent seines Einkommens für Lebensmittel aus. Laut dem Europäischen Statistikamt Eurostat sind das drei Prozentpunkte weniger als etwa in einem italienischen Haushalt. „Dabei kann sich der Otto-Normalverbraucher gute Produkte leisten“, sagt die FDP-Politikerin.
Doch viele Konsumenten setzen auf billig. „Während in anderen Ländern die Frische das Entscheidungskriterium für ein Produkt ist, ist es in Deutschland der Preis“, zitiert Happach-Kasan aus einer Studie.
„Es ist mir nach wie vor ein Rätsel, warum so viele Lebensmittel so günstig sind“, sagt auch der Essener Sternekoch Nelson Müller. So sei er nicht verwundert gewesen zu hören, dass Kriminelle beim Fleisch panschen, um dem Preisdruck standzuhalten. „Mir ist schon lange klar: Irgendetwas läuft kräftig falsch in der Lebensmittelindustrie.“
Kann denn beispielsweise bei einem Kilo Schweinefleisch für 2,99 Euro alles in Ordnung sein? Nein, sagt Bernd Schmitz, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft in Nordrhein-Westfalen. „Die Produkte erfüllen die Vorschriften, aber was wichtig ist, ist die Prozessqualität“, sagt Schmitz. Damit meint der Milchbauer aus der Nähe Bonns etwa artgerechte Haltung. „Da lege ich als Biobetrieb wert drauf.“
„Industriell Gefertigtes wird auf dem Produktionsweg immer teurer“, weiß Lebensmittel-Experte und Autor Hans-Ulrich Grimm. „Wenn ich selbst eine Lasagne koche, brauche ich keine Verpackung, keine Lebensmittelentwickler, keine Marketingabteilung wie in der Industrie. Das geht dort auf Kosten der Rohstoffe.“ Trotzdem wollen die Menschen laut Schmitz daran glauben, dass die Qualität bei günstigen Produkten gut ist, dass etwa die Milchkühe auf der Weide gegrast haben und viel draußen sind. „Das wird ihnen ja auch mit der Verpackung suggeriert.“
„Vielen Menschen ist einfach egal, was auf dem Teller ist. Deutsche legen Wert aufs Auto, nicht auf Lebensmittel“, sagt Grimm. Dennoch sei der Verbraucher nicht schuld, wenn er betrogen werde. „Politiker müssen dafür sorgen, dass alles gesund ist.“ Industrie und Politik arbeiteten aber zu nah zusammen. Grimm: „Das Thema Nahrungspolitik ist in keinem Wahlprogramm zu finden.“