Mehr Sanktionen gegen Hartz IV-Empfänger
Nürnberg (dpa) - Die Arbeitsagenturen haben 2011 deutlich mehr Sanktionen gegen Hartz-IV-Empfänger verhängt und ihnen wegen Verfehlungen die Leistungen gekürzt.
Im Vergleich zum Vorjahr sei die Zahl der Sanktionen beim Arbeitslosengeld II um etwa zehn Prozent gestiegen, sagte ein Sprecher der Bundesagentur für Arbeit (BA) in Nürnberg und bestätigte damit von der „Bild“-Zeitung veröffentlichte Zahlen. Zugleich machte er aber deutlich: „Die reinen Missbrauchsfälle und Betrugsfälle steigen nicht an. Wir haben überwiegend Meldeversäumnisse.“
Dies liege vor allem daran, dass die Arbeitsagenturen den Jobsuchern 2011 wegen der vielen offenen Stellen deutlich mehr Einladungen geschickt hätten. Versäumt ein Arbeitsloser aber solch einen Termin, wird automatisch die Leistung gekürzt. Dies gilt auch, wenn ein Betroffener etwa eine Arbeitsaufnahme verweigert, eine Ausbildung nicht antritt oder Termine der sogenannten Wiedereingliederungsvereinbarung nicht einhält.
2010 wurden insgesamt 829 375 solcher Sanktionen verhängt. Im vergangenen Jahr waren es - auch wegen präziserer Bestimmungen - 912 377. Das ist der höchste Stand seit 2007 - bis dahin reichen die revidierten Daten der BA zurück. Im Schnitt wurden die Leistungen um 116 Euro im Monat gekürzt.
„Die überwiegende Zahl aller erwerbsfähigen Leistungsbezieher macht mit, engagiert sich und will in Arbeit kommen. Sanktionen treffen immer nur einen kleinen Bruchteil der Langzeitarbeitslosen“, betonte eine Sprecherin des Bundesarbeitsministeriums. Zuletzt seien dies rund drei Prozent aller erwerbsfähigen Leistungsbezieher gewesen. Zwei Drittel der Sanktionen gingen auf Meldeversäumnisse zurück. Nur 15 Prozent resultierten aus der Weigerung, eine Arbeit, Ausbildung oder Maßnahme anzutreten oder weiterzumachen - dieser Anteil ist laut BA gesunken.
Während die Arbeitsagenturen 2011 mehr Sanktionen verhängten, ging die Zahl der Betrugsfälle beim Bezug von Hartz IV deutlich zurück. Die BA leitete im vergangenen Jahr 177 500 Straf- und Bußgeldverfahren wegen Missbrauchs ein - das waren fast 50 000 Fälle oder knapp 22 Prozent weniger als 2010. „Ein einfaches Meldeversäumnis löst noch keinen Betrugsfall aus“, erläuterte der BA-Sprecher. Nur wenn sich herausstelle, dass der Arbeitssuchende etwa nebenbei gearbeitet habe, werde dies als Missbrauch gewertet und nicht mehr nur mit einer Sanktion geahndet.
Der Paritätische Wohlfahrtsverband warf der „Bild“-Zeitung, die die Bestraften „Hartz-IV-Drückeberger“ genannt hatte, Stimmungsmache vor. „Hier wird ohne jede empirische Grundlage auf unverantwortliche Art und Weise gegen Millionen Menschen gehetzt und ein Bild der schmarotzenden Massen geschürt, das mit der Realität nichts zu tun hat“, kritisiert der Hauptgeschäftsführer Ulrich Schneider. „Hier geht es nicht um mutwilligen Missbrauch, sondern um ganz alltägliche Versäumnisse wie beispielsweise das Vergessen eines Termins.“
Auch der Deutsche Gewerkschaftsbund sowie das zuständige Vorstandsmitglied der Bundesagentur, Heinrich Alt, warnten in der Zeitung „Die Welt“ (Donnerstag) vor pauschalen Diffamierungen. „Rund 97 Prozent der Hartz-IV-Empfänger verhalten sich vollkommen regelkonform“, unterstrich Alt. Die meisten Jobsucher wollten arbeiten. Zugleich betonte Alt die Eigenverantwortung der Langzeitarbeitslosen: „Es gibt keine soziale Hängematte.“
Die sozialpolitische Sprecherin der Linken-Bundestagsfraktion, Katja Kipping, forderte die Abschaffung der Sanktionen. Die zuständige Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion, Brigitte Pothmer, erklärte: „Nicht Sanktionen, bürokratische Zumutungen und Gängelung, sondern faire Spielregeln, eine gute Betreuung und passgenaue Weiterbildungsangebote sind das Erfolgsrezept für die Integration in den Arbeitsmarkt.“