Merkel zu Besuch in Marxloh - oder: „Mutti kommt zu Multi-Kulti“
Kanzlerin Merkel besucht das Duisburger Problemviertel Marxloh, um sich mit Bürgern zu unterhalten. Sie debattiert, hört zu, hat aber kein Allgemeinrezept zur Hand. In anderen Punkten findet sie dagegen klare Worte.
Duisburg (dpa) - Ein Feuerwehrmann erzählt von Angriffen beim Löschen. Anwohner fühlen sich gestört vom Lärm und Schmutz, für den sie Armutsflüchtlinge in Schrott-Immobilien verantwortlich machen. Andere meinen: Der Duisburger Stadtteil Marxloh steht durch Hilfsprojekte vieler ehrenamtlicher Helfer gar nicht so schlecht da, wie oft berichtet würde.
Die Wortbeiträge, die Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) bei der Diskussion im Problemviertel eineinhalb Stunden verfolgt, fallen so unterschiedlich aus, wie sich die Bevölkerung Marxlohs aus mehr als 90 Nationen zusammensetzt. Bei dem Treffen in der Reihe „Gut leben in Deutschland“ will die Kanzlerin mit Einwohnern mehrerer Städte ins Gespräch kommen.
Mitte Juli hat einer dieser Besuche für Aufsehen gesorgt, weil in Rostock ein palästinensisches Flüchtlingsmädchen in Tränen ausbrach. Nun ist Merkel also in Marxloh - ein Stadtviertel, dessen Ruf zuletzt unter Straßengewalt, Angriffen auf die Polizei und der Angst vor einem entstehenden rechtsfreien Raum gelitten hat. Der Zeitpunkt des Treffens könnte aus Sicht vieler Teilnehmer des „Bürgerdialogs“ kaum passender sein. „Mutti kommt zu Multi-Kulti“, wurde ihr scherzhaft als Motto für das Treffen in Marxloh vorgeschlagen.
Rund 60 Gesprächspartner nehmen in Duisburg im Halbrund Platz. Die Stimmung ist gelöst. „Wir haben bei der Auswahl der Personen keine Hand im Spiel gehabt und auch keine anderen Körperteile“, scherzt die Kanzlerin und betont gleich zu Beginn ihren Willen zum „Zupacken“, als sie nach einer umgefallenen Wasserflasche greift.
Von der Auszubildenden, die sich über mangelnde staatliche Unterstützung beklagt, bis hin zur fehlenden Krankenversicherung für Armutsflüchtlinge: die Kanzlerin hört zu, kündigt aber keine Soforthilfe an. Viele Sätze enden mit: „Ich schau's mir an, verspreche aber nichts“. Der stellvertretende Vorsitzende des „Runden Tisches Marxloh“ bewertet Merkels Auftritt im Großen und Ganzen als authentisch. „Ich finde, dass sie auf alles geantwortet hat, aber nie ausgewichen ist“, sagt Thomas Mielke.
Als es um Straßengewalt und Attacken auf Einsatzkräfte geht, verzichtet die Kanzlerin jedoch auf die Sprache der Diplomatie. „Toleranz ist nicht zu verwechseln mit Regellosigkeit“, sagt sie mit Blick auf Banden krimineller Ausländer, die Straßen für sich beanspruchen, Bürger einschüchtern und Beamte attackieren. „Wenn die Polizei Angst hat, wenn die Feuerwehr Angst hat, dann bricht etwas zusammen“, sagt sie.
Frustrierten Stimmen über negative Schlagzeilen zu Marxloh entgegnet sie: Nur wenn etwas bekannt werde, könne sich etwas ändern. In einem öffentlichen Appell hatte die Gewerkschaft der Polizei vor dem Entstehen von „No-Go-Areas“ im Ruhrgebiet gewarnt - auch Marxloh zählt demnach zu den Brennpunkten. Erst wenige Stunden vor der Diskussion in einem Duisburger Hotel waren die Gäste in einem zweistündigen Workshop auf den hohen Besuch eingestimmt worden.
Zu kurz, zu oberflächlich, eine Vorbereitung im Schweinsgalopp, monierten einige von ihnen. Pater Oliver, der im Viertel unter anderem kostenlose medizinische Hilfe anbietet, empfand die Sitzung als schlecht vorbereitet. Nach dem Besuch der Kanzlerin klingt er zufriedener. „Wir sind alle sehr froh gestimmt. Sie hat den Eindruck vermittelt, dass sie uns zuhört und unsere Probleme an Experten weitergibt.“