Neues Tauziehen um Hartz IV
Berlin (dpa) - Das monatelange Tauziehen um einen höheren Regelsatz für Millionen Hartz-IV-Empfänger geht weiter und der Ausgang ist offen.
Ein Kompromissvorschlag von drei Ministerpräsidenten, den Regelsatz für Hartz-IV-Empfänger stärker als bisher geplant zu erhöhen, stieß bei den Bundestagsfraktionen von Union und FDP auf Ablehnung. Auch die Bundeskanzlerin ging dazu auf Distanz.
Nun soll ein Gespräch von Koalition und Opposition am kommenden Sonntagnachmittag die Lösung bringen. Ursprünglich war das Treffen bereits für diesen Donnerstag geplant, es wurde aber wegen „Terminschwierigkeiten“ auf Seiten der Koalition verschoben. Für Dienstagabend kommender Woche wurde eine Sitzung des Vermittlungsausschusses von Bundesrat und Bundestag angekündigt.
Die drei Ministerpräsidenten Kurt Beck (Rheinland-Pfalz/SPD), Wolfgang Böhmer (Sachsen-Anhalt/CDU) und Horst Seehofer (Bayern/CSU) hatten vorgeschlagen, den Regelsatz trotz des Widerstands aus den Bundestagsfraktionen von Union und FDP stärker als geplant zu erhöhen, und zwar um 8 Euro auf 367 Euro monatlich. Dies wären 3 Euro mehr als bisher vorgesehen.
Regierungssprecher Steffen Seibert erteilte dem Vorschlag mit den Worten eine Absage, Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) habe einen „gut berechneten Regelsatz vorgelegt“. Deren Sprecher Jens Flosdorff betonte, es gebe „keine Notwendigkeit“ für eine stärkere Anhebung. Aus der Union im Bundestag hieß es: „Für die Unionsfraktion ist klar, dass es am Regelsatz keine Veränderung geben wird.“
Bundeskanzlerin Angela Merkel sagte dem NDR, man tue sich mit der Anhebung des Regelsatzes deshalb so schwer, weil die Hartz-IV-Leistungen von den Menschen bezahlt würden, die jeden Tag zur Arbeit gehen. Das Treffen der Ministerpräsidenten wertete sie nicht als Entsolidarisierung mit von der Leyen. Sie sei mit den Länderchefs im Übrigen „auf's Engste vernetzt“.
Bei einer Wahlkampfveranstaltung in Wittlich (Rheinland-Pfalz) kündigte Merkel am Mittwoch an, es werde entschieden weiter verhandelt. „Wir haben angesichts der wirtschaftlichen Situation jetzt die Möglichkeit, Langzeitarbeitslosigkeit abzubauen, und umso wichtiger ist es, dass sich für den Menschen das Arbeiten lohnt und deshalb verhandeln wir mit aller Entschiedenheit weiter, weil wir das Geld nicht für Langzeitarbeitslosigkeit brauchen, sondern für Zukunftsinvestitionen.“
Der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, Thomas Oppermann, appellierte in der "Frankfurter Rundschau" (Donnerstag) an die Fraktionen von Union und FDP, „sich jetzt einer Lösung nicht zu versperren“. Für die Verhandlungsführerin der SPD, Manuela Schwesig, gehen die Kompromissvorschläge der drei Ministerpräsidenten „in die richtige Richtung“. Wenn nun alle „an einem Strang ziehen“, könne man „zu einem guten Ergebnis kommen“, sagte sie im NDR .
Beck hatte die Initiative zu dem Dreiergespräch ergriffen, um die festgefahrenen Hartz-IV-Verhandlungen wieder in Gang zu bringen. Der Vorschlag für die zusätzliche Erhöhung des Regelsatzes um drei Euro wird damit begründet, dass in die Berechnung auch die aktuelle Entwicklung der Einkommen einbezogen worden sei. Damit könne der Regelsatz nach oben angepasst werden. Zusätzlich ist im Gespräch, armen Familien mit Kindern bei Notfällen mit kleineren Summen zusätzlich zu helfen.
Auch die FDP lehnte Mehrausgaben bei Hartz IV ab. „Der Regelsatz steigt um fünf Euro pro Monat - alles andere wäre Willkür“, sagte FDP-Bundestagsfraktionschefin Birgit Homburger der „Bild“-Zeitung (Donnerstag). Unions-Fraktionsvize Michael Fuchs warnte vor einem „Kompromiss zu Lasten Dritter“. Wer über eine Anhebung der Regelsätze um mehr als 5 Euro spreche, müsse sagen, woher das Geld dafür kommen soll, sagte er dem Berliner „Tagesspiegel“ (Donnerstag).
Der Forderung nach Mindestlöhnen im Wach- und Sicherheitsgewerbe sowie in der Aus- und Weiterbildung will die Koalition dem Vernehmen nach entgegenkommmen: Durch Aufnahme beider Branchen ins Arbeitnehmer-Entsendegesetz. Bei der Gleichbezahlung von Leiharbeitern mit den Stammbeschäftigten gibt es wegen des Widerstands der FDP keine Annäherung. Diese Forderung der SPD scheint damit vom Tisch zu sein.
Linke-Parteichef Klaus Ernst nannte den Vorschlag für ein Zusatzplus von drei Euro beim Regelsatz eine „Verabredung zum Verfassungsbruch“ und kündigte rechtliche Schritte an. „Wir werden alles dafür tun, damit dieses Gesetz schnell wieder dort landet, wo es hingehört: vor dem Bundesverfassungsgericht.“ Die Linksfraktion im Bundestag unterstützt zudem den Antrag einer Hartz-IV-Bezieherin beim Sozialgericht in Nürnberg auf Erlass einer einstweiligen Anordnung. Damit will sie einen höheren Regelsatz durchsetzen.