Papst im Lutherland - 90 000 feiern

Erfurt/Berlin (dpa) - Auf historischem Boden hat Papst Benedikt XVI. viele Hoffnungen auf mehr Miteinander von Katholiken und Protestanten enttäuscht. Im Lutherland Thüringen sprach er am Tag zwei seines Deutschlandbesuches mit Blick auf ein ökumenisches Entgegenkommen sogar von einem Missverständnis.

Allerdings würdigte das Oberhaupt der katholischen Kirche am Freitag in Erfurt ausdrücklich das Wirken von Martin Luther (1483-1546). Der EKD-Ratsvorsitzende Nikolaus Schneider sprach von einer „faktischen Rehabilitation“. Der frühere katholische Mönch und spätere Reformator Luther hatte vor knapp 500 Jahren die Kirchenspaltung ausgelöst.

Am Abend traf sich Benedikt unter Ausschluss der Öffentlichkeit mit Opfern sexuellen Missbrauchs durch Priester und kirchliche Mitarbeiter. Anschließend sprach er mit Menschen, die sich um Missbrauchsopfer kümmern und ihnen helfen, wie Vatikan und Deutsche Bischofskonferenz mitteilten. Ein solches Treffen gehörte nicht zum offiziellen Besuchsprogramm des Papstes in Deutschland. Es war aber als symbolische Geste erwartet worden.

Zur Ökumene sagte das 84-jährige Kirchenoberhaupt: „Im Vorfeld des Papstbesuchs war verschiedentlich von einem ökumenischen Gastgeschenk die Rede, das man sich von diesem Besuch erwarte.“ Und: „Dazu möchte ich sagen, dass dies ein politisches Missverständnis des Glaubens und der Ökumene darstellt“, betonte er in einem ökumenischen Wortgottesdienst im Erfurter Augustinerkloster, den er gemeinsam mit Präses Schneider zelebrierte.

An der Zeremonie unter dem hohen Tonnengewölbe der Augustinerkirche nahmen auch Bundespräsident Christian Wulff, Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Thüringens Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht (beide CDU) sowie Repräsentanten verschiedener Religionsgemeinschaften teil. Begleitet von Orgelmusik erschallten Gesänge des Augustinerchors.

Am Abend feierte Benedikt im Licht der untergehenden Sonne eine stimmungsvolle Vesper mit rund 90 000 Gläubigen in Etzelsbach im Thüringer Eichsfeld. Er wurde dort begeistert empfangen.

Der Papst ging beim Ökumenetreffen nicht auf den Wunsch kirchlicher Reformgruppen und der evangelischen Kirche ein, gemeinsame Eucharistiefeiern von Katholiken und Protestanten zuzulassen. Er betonte, eine Annäherung der getrennten christlichen Kirchen könne nicht in Form eines Kompromisses ausgehandelt werden.

Auch machte er deutlich, dass vorerst keine konkreten ökumenischen Schritte zu erwarten seien. „Das Notwendigste für die Ökumene ist zunächst einmal, dass wir nicht unter dem Säkularisierungsdruck die großen Gemeinsamkeiten fast unvermerkt verlieren, die uns überhaupt zu Christen machen und die uns als Gabe und Auftrag geblieben sind.“

In der Erklärung nach dem Treffen mit Missbrauchsopfern hieß es: „Bewegt und erschüttert von der Not der Missbrauchsopfer hat der Heilige Vater sein tiefes Mitgefühl und Bedauern bekundet für alles, was ihnen und ihren Familien angetan wurde.“ Den Verantwortlichen in der Kirche sei an der Aufarbeitung aller Missbrauchsdelikte gelegen. Der Skandal um jahrzehntelangen sexuellen Missbrauch von Kindern in kirchlichen und anderen Einrichtungen erschütterte besonders die katholische Kirche im vergangenen Jahr in ihren Grundfesten. Die Kirche will Opfer mit bis zu 5000 Euro entschädigen. Vielen reicht das aber nicht aus.

Der christliche Glaube werde in Deutschland immer mehr an den Rand gedrängt, beklagte Benedikt. Die Bewahrung des Glaubens sei die wichtigste gemeinsame Aufgabe der getrennten christlichen Konfessionen. Die Maßstäbe des Menschseins seien in der heutigen Zeit fraglich geworden, kritisierte der Papst und nannte unter anderem die Präimplantationsdiagnostik (PID). „Ethik wird durch das Kalkül der Folgen ersetzt“, sagte er.

Zugleich würdigte der Papst Luther. Die Frage eines gnädigen Gottes habe Luther „ins Herz getroffen“ und hinter seinem theologischen Suchen und Ringen gestanden. „Theologie war für ihn keine akademische Angelegenheit, sondern das Ringen um sich selbst, und dies wiederum war ein Ringen um Gott und mit Gott.“ Die EKD-Spitze begrüßte die Äußerungen Benedikts.

Im Augustinerkloster hatte Luther gewirkt. Hier wurde der Keim zur Spaltung der Kirche gelegt, die von Luther nie beabsichtigt war. Im Kapitelsaal, wo sich der Papst mit der Spitze der evangelischen Kirche zum Gespräch traf, liegen noch die originalen Bodenfliesen, auf denen einst Luther wandelte.

Beim ökumenischen Gottesdienst in der Augustinerkirche nebenan predigte Benedikt an dem Altar, an dem Luther seine erste Messe las. Nach der Predigt ging Schneider auf den Papst zu und umarmte ihn - vielleicht einer der bewegendsten Momente des Ökumene-Gipfels.

Zur großen Marienvesper an der Wallfahrtskapelle Etzelsbach im Eichsfeld kamen weit mehr Gläubige als erwartet. Benedikt warnte in seiner Predigt davor, Selbstverwirklichung als Ziel des Lebens zu sehen. Der Pontifex trug einen prächtigen Chormantel aus Goldbrokat und Seide und sang zum Auftakt nach dem traditionellen Ritus „O Gott, komm mir zu Hilfe“. Er wollte mit seinem Besuch in dem ostdeutschen Bistum auch die Standhaftigkeit der katholischen Christen in der DDR während der deutschen Teilung würdigen.

Das Ökumenetreffen von Erfurt würdigten katholische und evangelische Kirche als historische Etappe auf dem Weg zum Reformationsjubiläum 2017. „Der Ort war sehr prägend für die ausgesprochen dichte, geschwisterliche Begegnung“, sagte der EKD-Vorsitzende Schneider. In der „freundschaftlichen“ Ökumene stünden Protestanten und Katholiken aber noch am Anfang.

Schneider zog unter dem Strich eine gemischte Bilanz. Insbesondere forderte er mehr Anstrengungen für Paare mit unterschiedlicher Konfession. Gläubige in konfessionsverbindenden Ehen und Familien sehnten sich danach, dass die Kirchen ihren „Eigen-Sinn“ überwinden. „Für uns alle wäre es ein Segen, ihnen in absehbarer Zeit eine von Einschränkungen freiere eucharistische Gemeinschaft zu ermöglichen“, betonte Schneider.

Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Robert Zollitsch, sprach von einem Auftrag und einer Ermutigung durch den Papst, den ökumenischen Weg fortzuführen.

In Berlin war der Papst zuvor mit islamischen Spitzenvertretern zusammengetroffen. Dabei bezeichnete er Muslime als ein Merkmal Deutschlands.

„Die Anwesenheit zahlreicher muslimischer Familien ist seit den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts zunehmend ein Merkmal dieses Landes geworden.“ Das Gespräch in der Vatikanbotschaft in der Hauptstadt fand nach Aussage eines Sprechers der Deutschen Bischofskonferenz in herzlicher Atmosphäre statt. Vor einem Jahr hatte Bundespräsident Christian Wulff gesagt, der Islam gehöre inzwischen auch zu Deutschland, und dafür nicht nur Zustimmung, sondern auch heftige Kritik geerntet. Abschließend besucht der Papst am Wochenende Freiburg.