RWE-Konzern klagt - Schwarz-Gelb will Atomausstieg

Berlin (dpa) - Der Energiekonzern RWE setzt sich gegen die Abschaltung seines hessischen Atomkraftwerks Biblis A juristisch zur Wehr und droht mit einem Wiederanfahren des Meilers. RWE reichte am Freitag Klage beim zuständigen Verwaltungsgerichtshof in Kassel ein.

Für eine Betriebseinstellung fehle die rechtliche Maßgabe, betonte das Unternehmen. Mit der Klage stelle man die Wahrung der Interessen seiner Aktionäre sicher. Denn mit dem für drei Monate im Rahmen des Atom-Moratoriums verfügten Stillstand von Biblis A entgehen RWE pro Tag rund 700 000 Euro. Die RWE-Aktie legte am Freitag leicht zu.

In der schwarz-gelben Koalition verdichten sich derweil die Anzeichen für einen schnellen und umfassenden Atomausstieg. Der Deutschen Presse-Agentur liegt der interne Zeitplan vor. Demnach soll es bereits bis zum 15. Juni ein mögliches neues Atomgesetz geben und bis dahin gegebenenfalls ältere Meiler durch aufsichtsrechtliche Verfügungen stillgelegt werden. Allerdings ist sich die Regierung noch unsicher, ob dafür allein eine veränderte Risikobewertung, etwa zu schlechter Schutz gegen Flugzeugabstürze ausreichend wäre.

Die Regierung hat aber noch keine Vorentscheidung getroffen, wie viele Atomkraftwerke nach dem Ende des Moratoriums im Juni dauerhaft vom Netz gehen sollen. Es gebe bisher keine Festlegungen, wie man am Ende des Moratoriums handeln werde, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert in Berlin. Führende Politiker von Union und FDP sind für einen schnelleren Atomausstieg angesichts der Bilder aus Fukushima. Dies könnte eine dauerhafte Abschaltung der sieben ältesten Meiler plus der Anlage Krümmel in Schleswig-Holstein nach sich ziehen. Diese acht Anlagen stehen wegen des Moratoriums für drei Monate still.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) reagierte betont gelassen auf die RWE-Klage gegen den Stillstand beim ältesten deutschen Akw. „Die Bundesregierung hat das zur Kenntnis genommen“, sagte ihr Sprecher Seibert. RWE habe als Unternehmen das Recht, so zu handeln, wenn es meine, dass die Rechtsgrundlage auch mit Blick auf die eigenen Aktionäre überprüft werden müsse. Unabhängig von der Klage unterstützt RWE die von der Bundesregierung beschlossene Sicherheitsüberprüfung aller seiner Kernkraftwerke.

Den ganzen Tag über drohte RWE mit einem Wiederanfahren des Meilers in Biblis. So will das Unternehmen nach Meinung von Juristen anscheinend einen Sofortvollzug des hessischen Umweltministeriums zur Stillegung der Anlage erzwingen. Denn nur dann könnte bei einer erfolgreichen Klage der Anspruch auf Schadensersatz bestehen. Sollte RWE den wegen des Moratoriums stillgelegten Block A wiederanfahren, werde das Land mit dem Sofortvollzug reagieren, sagte Umweltministerin Lucia Puttrich (CDU) am Freitag in Wiesbaden.

Derzeit werden unter Federführung der Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit (GRS) alle 17 Meiler etwa auf die Folgen von Erdbeben, Dammbrüchen, Cyber-Angriffen und Flugzeugabstürzen überprüft. Auf Basis der Ergebnisse soll entschieden werden, welche Meiler womöglich dauerhaft abgeschaltet werden müssen.

Die Regierung hatte die Stilllegung der sieben ältesten Akw mit Verweis auf Paragraf 19, Absatz 3 des Atomgesetzes angeordnet. Danach kann die Stilllegung eines Kernkraftwerks verlangt werden, wenn Gefahren für Leben, Gesundheit oder Sachgüter bestehen. Umweltminister Norbert Röttgen hatte die Anwendung des Paragrafen mit einer vorsorgende Maßnahme nach dem Atomunglück in Japan begründet.

Mehrere Juristen halten diese Auslegung für sehr gewagt und sehen die Abschaltung juristisch auf wackligen Füßen. Sollte RWE Recht bekommen, wäre es eine schwere Niederlage für Merkel.

Deutschlands größter Energiekonzern Eon hatte zuvor erklärt, dass er nicht gegen das Atom-Moratorium der Bundesregierung klagen will, bei einem Klageerfolg von RWE könnte aber der Druck der Aktionäre dazu führen, dass sich auch Eon nochmal eine Klage überlegt.

Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin sagte: „Die Klage zeigt, dass sich die Atomkonzerne noch längst nicht mit einem Ausstieg aus der Atomkraft abgefunden haben.“

SPD-Fraktionsvize Ulrich Kelber erneuerte das Angebot an die Regierung, durch Verzicht auf alle Fristen in Bundestag und Bundesrat ein Abschaltgesetz bis nächsten Freitag zu beschließen. „Die Gefahr eines Schadensersatzes ist Folge der parteitaktisch motivierten Linie von Merkel & Co., ein unverbindliches Moratorium zu machen, statt auf die Opposition zuzugehen“, sagte Kelber. Linke-Chefin Gesine Lötzsch sagte, Merkel habe mit dem Moratorium nach Gutsherrenart gehandelt.

Nach der Reaktorkatastrophe in Japan will die Mehrheit der Bürger so schnell wie möglich raus aus der Atomkraftnutzung. Im ZDF-„Politbarometer“ plädieren 55 Prozent sogar für einen schnelleren Atomausstieg als von Rot-Grün bis etwa 2022 geplant.