Analyse: RWE setzt Kanzlerin mit Klage unter Druck
Berlin (dpa) - Das Bild, auf dem RWE-Chef Jürgen Großmann der Kanzlerin zuprostet, wurde vor einem halben Jahr zum Symbol für den guten Draht der Regierung zur Atomwirtschaft. Zufrieden waren die Energieversorger, als Angela Merkel eine Laufzeitverlängerung um durchschnittlich zwölf Jahre durchsetzte.
Dann kam die Katastrophe von Fukushima und eine beispiellose Kehrtwende der schwarz-gelben Koalition. Sie gipfelte in der Anordnung zum Herunterfahren der ältesten deutschen Atomkraftwerke.
Die Beziehung zwischen Großmann und CDU-Chefin Merkel ist nun auf einem Tiefpunkt angekommen. Am Freitagmorgen um kurz vor neun Uhr reichte das Essener Unternehmen beim Verwaltungsgerichtshof Kassel Klage ein gegen die Anordnung, das älteste deutsche AKW Biblis A in Hessen zumindest vorübergehend abzuschalten.
In Regierungskreisen gilt ein endgültiges Aus für den 1974 ans Netz gegangenen Meiler als ausgemacht, Großmann will aber um die Anlage kämpfen. Auch auf die Gefahr hin, dass die Regierung nun erst recht in einem neuen Atomgesetz weniger Meiler als bisher erlauben könnte und diesen auch noch eine möglichst kurze Restlaufzeit verpasst.
Auch Biblis B könnte nie wieder hochgefahren werden. RWE hat also wenig zu verlieren und setzt nun auf Konfrontation statt auf Kooperation. Zwar fällt auch Biblis B in die Kategorie der sieben ältesten Meiler, aber es stand zum Moratoriums-Start Mitte März ohnehin wegen einer Revision still.
RWE befürwortet zwar die ansehenden Sicherheits-Checks, sieht sich aber aus aktienrechtlichen Gründen zur Klage gezwungen. Denn mit einem abgeschriebenen AKW lässt sich etwa eine Million Euro pro Tag verdienen, das Geld entgeht RWE nun. „Die deutschen Kernkraftwerke erfüllen die geltenden Sicherheitsanforderungen“, betont das Unternehmen. Für eine Betriebseinstellung fehle daher die rechtliche Maßgabe. Die Bundesregierung sieht der Klage gelassen entgegen. Der Zeitplan der Entscheidung ist noch unklar. Umweltminister Norbert Röttgen und Kanzlerin Angela Merkel betonen, dass das ganze Moratorium auf einer stabilen Basis stehe.
Die Regierung hatte die Stilllegung mit Paragraf 19, Absatz 3 des Atomgesetzes begründet. Danach kann eine AKW-Stilllegung verlangt werden, wenn Gefahren für Leben, Gesundheit oder Sachgüter bestehen. Es ist so etwas wie der „Gefahrenabwehr-Paragraf“ des Atomgesetzes. Röttgen hatte die Anwendung als vorsorgende Maßnahme nach den dramatischen Ereignissen in Japan begründet.
Mehrere Juristen halten diese Auslegung für sehr gewagt und sehen die Abschaltung auf wackligen Füßen. Der frühere Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier, hält die politisch verfügte Stilllegung daher für illegal. Die Bundesregierung und die betroffenen Landesregierungen hätten „offensichtlich keine Rechtsgrundlage für das Moratorium“, sagte er der „Badischen Zeitung“. Die Betreiber hätten gute Erfolgsaussichten für eine Klage.
Und darauf setzt auch RWE. Mit Einreichung der Klage könnte das Unternehmen Biblis A theoretisch sofort wieder hochfahren, denn in der Anordnung zum Abschalten wurde kein Sofortvollzug verfügt. Doch RWE will es nicht auf die Spitze treiben - eine Sprecherin sagt, dies sei nicht geplant. Das hessische Umweltministerium betont, sonst würde umgehend ein Sofortvollzug aus der Schublade geholt.
Sollte RWE sich mit der Klage gegen die hessische Landesregierung, vor allem aber gegen die Bundesregierung durchsetzen, käme dies einer Ohrfeige gleich, weil das Moratorium praktisch hinfällig war. Die Regierung hatte darauf gesetzt, dass die Energiebosse angesichts der Bilder der rauchenden Atomruinen von Fukushima die Füße stillhalten. Erfreut nahm man am Donnerstag zur Kenntnis, dass Eon auf eine Klage gegen die Abschaltung seiner Meiler Isar I (Bayern) und Unterweser (Niedersachsen) verzichtet.
Die SPD fordert ein sofortiges „Abschaltgesetz“, damit nicht der Steuerzahler den Schadensersatz für schlampiges Regierungshandeln bezahlen müsse. Es kommt selten vor, dass sogar die Linke, die RWE am liebsten verstaatlichen würde, Verständnis für das Unternehmen zeigt. Merkel habe bei dem Moratorium „nicht rechtsstaatlich gehandelt, sondern nach Gutherrenart“, sagt Linken-Chefin Gesine Lötzsch.
Angela Merkel muss schon geahnt haben, dass RWE ihr Vorgehen nicht akzeptieren wird. In einem Schreiben wandte sich Großmann jüngst an die Unterzeichner des „Energiepolitischen Appells“, mit dem 2010 für die Kernenergie als Brückentechnologie geworben worden war. „Bisher steht die deutsche Bundesregierung mit ihrer Ankündigung allein, sieben ältere, aus meiner Sicht aber absolut sichere, Kernkraftwerke zunächst für drei Monate stillzulegen“, so Großmann.