Oppermann liebäugelt mit GroKo Schulz beklagt jahrelange Versäumnisse der SPD
Berlin (dpa) - Der gescheiterte SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz beklagt schwere Fehler seiner Partei in den vergangenen Jahren und will eine inhaltliche Erneuerung anstoßen.
In einem Schreiben an alle SPD-Mitglieder, das am Freitag verschickt wurde, argumentiert Schulz, die Partei habe die Wahlniederlagen seit 2005 nicht ausreichend aufgearbeitet, sich seitdem nicht genug weiterentwickelt und auch im jüngsten Wahlkampf „alte Fehler“ wiederholt. Der gerade erst abgelöste Fraktionschef Thomas Oppermann sinnierte dagegen öffentlich über Szenarien, wie die SPD doch noch in einer großen Koalition landen könnte. Widerspruch aus der Parteispitze kam prompt.
Die SPD hatte bei der Bundestagswahl mit 20,5 Prozent ihr schlechtestes Nachkriegsergebnis erzielt. Seitdem kommen aus vielen Teilen der Partei Rufe nach Erneuerung - personell, inhaltlich und strukturell. Auch frühere Spitzengenossen hatten den Kurs der SPD öffentlich kritisiert. Es herrscht große Unruhe in der Partei. Eine personelle Neuaufstellung gibt es bislang nur zum Teil. Die Ex-Arbeitsministerin Andrea Nahles ist neue SPD-Fraktionschefin als Oppermann-Nachfolgerin. Den Parteivorsitz will Schulz aber behalten.
In seinem Rundschreiben an die Mitglieder erklärte Schulz, er habe angesichts des Wahldebakels am Sonntagabend zwar über einen Rücktritt als Parteichef nachgedacht. Nach vielen Gesprächen sei er aber zu der Überzeugung gelangt, dass er den nötigen Neuanfang der SPD mitgestalten wolle. Die Hauptverantwortung für die bittere Niederlage liege bei ihm, räumt er ein. Er gibt aber auch vielen anderen Spitzengenossen Mitschuld an der Abwärtsspirale der SPD.
„Weder 2005, noch 2009 oder 2013 hat es eine ehrliche und tiefergehende Debatte über die Gründe der damaligen Wahlniederlagen gegeben und es sind auch keine echten Konsequenzen gezogen worden“, beklagte Schulz. „Strukturell, organisatorisch, inhaltlich und strategisch hat sich unsere Partei seitdem nicht ausreichend weiterentwickelt.“ Auch bei der Wahlkampagne 2017 hätten sich „alte Fehler“ wiederholt. Wie schon 2009 und 2013 habe die Bestimmung des Kanzlerkandidaten so lange gedauert, dass danach nur wenig Zeit für die Vorbereitung der Kampagne geblieben sei.
„Um wieder und dauerhaft erfolgreich sein zu können, müssen wir deutlich besser werden, und zwar auf allen Ebenen“, mahnte er. Nötig sei ein Neustart. Die Partei müsse Antworten finden auf dringende Gesellschaftsfragen: etwa zu Digitalisierung, Gerechtigkeit, Einwanderung und Sicherheit. „Ein weiterer Wahlkampf, der sich diesen großen Fragen nicht stellt, ist zum Scheitern verurteilt.“ Es gehe in den nächsten Jahren „um nicht weniger als um die Existenz der deutschen, ja der europäischen Sozialdemokratie“.
Schulz hatte nach dem miesen Wahlergebnis den Gang in die Opposition angekündigt - und ein Bündnis mit CDU und CSU auch für den Fall ausgeschlossen, dass Verhandlungen für eine Jamaika-Koalition scheitern. Oppermann spekulierte nun dagegen über Möglichkeiten, in denen die SPD doch noch mal mit der Union koalieren könnte. In der ZDF-Talkshow „Markus Lanz“ bekräftigte Oppermann am Donnerstagabend zwar, dass die SPD in die Opposition gehen wolle. Allerdings sagte er auf die Frage, ob die Sozialdemokraten im Fall eines Rückzugs von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) zu einer großen Koalition bereit wäre: „Das wäre in der Tat eine neue Situation.“
Auf die Frage, ob die SPD bei einem Scheitern von Jamaika und drohenden Neuwahlen noch umdenken würde, sagte Oppermann: Für den Fall, dass es einen „Staatsnotstand“ gebe, müsse die SPD neu überlegen. Aber einen Staatsnotstand sehe er noch nicht.
In der Parteispitze stieß das auf Kritik. SPD-Vize Manuela Schwesig wies Oppermanns Überlegungen zurück. „Spekulationen aller Art sind unnötig“, sagte sie dem „Tagesspiegel“ (Samstag). Es gebe keine Hintertür für eine große Koalition. Das sei Konsens der Parteiführung.
Nahles will die SPD mehr nach links ausrichten. Im „Spiegel“ äußerte die neue Fraktionschefin Bereitschaft zu einer Kooperation mit der Linken im Parlament. Die SPD müsse inhaltlich fundamental neue Wege gehen und dürfe auch eine klare Kapitalismuskritik nicht scheuen. Aus der Linken kamen ebenfalls kooperationswillige Signale Richtung SPD.