Abzug aus Bayern Seehofer leitet letzte Kabinettssitzung in München
München (dpa) - Großes Tamtam will Horst Seehofer nicht an seinem letzten Tag als bayerischer Ministerpräsident. Als der 68-Jährige um zehn Uhr letztmals als Regierungschef den Kabinettssaal in der Staatskanzlei betritt, herrscht dort dank der Fotografen und Kamerateams dennoch ein buntes Treiben.
Dazwischen sind die Kabinettsmitglieder fast unsichtbar. Routiniert warten sie auf ihren Plätzen auf die Eröffnung durch den Mann, der tags drauf in Berlin zum neuen Bundesinnenminister ernannt werden soll. Es ist das wohl (vor)letzte Kapitel in einer langsamen und stetigen Entfremdung.
„Liebe Kollegen, ich begrüße Euch zu unserer letzten Kabinettssitzung in dieser Formation. Wir werden das so handhaben wie in den letzten neun Jahren und fünf Monaten und unser Tagewerk erledigen“, sagt Seehofer. Auch bei ihm obsiegt die Routine: Während er begrüßt, schaltet er sein Telefon aus und komplimentiert die Presse hinaus.
Tagewerk? Routine? Schon ein Blick auf die Tagesordnung offenbart, dass dies keine normale Sitzung ist, selbst wenn Sozialministerin Emilia Müller dies vor der Türe behauptet. Die Situation auf dem Arbeitsmarkt und der Exporthandel sind kaum politisch verminte Felder, sondern Beispiele für Seehofers größte politische Erfolge.
Spannender ist aber an diesem Tag eine andere Frage: Sucht Seehofer nach Wochen der Entfremdung von der CSU und von seinem Kabinett doch noch einen versöhnlichen Abschied? Oder lässt er die „Feierlichkeit“, wie es sein designierter Nachfolger Markus Söder nennt, ungenutzt verstreichen? Die Wertungen fallen unterschiedlich aus. Versöhnlich sei es nicht gewesen. „Eher pragmatisch, wie immer.“ Als Geschenk erhält Seehofer übrigens nur die gesammelten Protokolle aller Kabinettssitzungen, ansonsten habe er nichts gewollt, heißt es.
Die Zusammenarbeit zwischen Seehofer und seinem Kabinett war nicht immer einfach, aber trotz persönlicher Unstimmigkeiten immer professionell. Selbst der Dauerzwist mit Söder spielte hier keine Rolle, Seehofers Autorität am Kabinettstisch war nie in Gefahr. „Er hat sehr viel von seinen Ministern und dem ganzen Kabinett gefordert, aber das gehört auch zu einem Vorstandsvorsitzenden dazu, auch Leistung einzufordern“, sagt Wirtschaftsministerin Ilse Aigner.
„Es ist eine Zäsur, die auch ein Stück weit unter die Haut geht und die Seele erfasst“, sagt Seehofer nach der Sitzung rückblickend über seine Politik, in deren Blick er wie auch künftig im Bund immer die kleinen Leute sehe. „Das Werk ist vollbracht.“ Er sei hoch motiviert für die Aufgabe in Berlin. „Ich freue mich, so gerne ich das in Bayern gemacht habe.“ Es gebe bei ihm keinen Groll, kein Trübsal, aber „Wehmut, dass ich mich von den Menschen verabschieden muss, die über Jahre loyal für mich gearbeitet haben“.
So sehr er sich um Gelassenheit müht, einmal zeigt sich dann aber doch kurz, dass er Bayern nicht ganz freiwillig verlässt und wer aus seiner Sicht daran schuld ist: „Ich trete ja nicht zurück, weil wir Schwierigkeiten haben, sondern als Folge irgendwelcher Diskussionen, die wir vor allem in der Landtagsfraktion hatten.“ Damit spielt er offen auf den Verlauf des Machtkampfes nach der CSU-Pleite bei der Bundestagswahl an. Bis heute hat Seehofer seinen Kritikern dort nicht verziehen, dass sie ihn zum Amtsverzicht zwangen. Seither herrscht Eiszeit. Seehofer machte um alle Sitzungen von Fraktion und Landtag einen weiten Bogen. Dass Seehofer schließlich auch außerhalb der Fraktion immer mehr Kritiker hatte, sagt er natürlich nicht.
In der CSU hoffen viele, dass auch Seehofer nach seiner Ernennung an diesem Mittwoch als Bundesinnenminister mit zunehmender Gelassenheit nach Bayern und insbesondere zur CSU blicken kann. Bereits am Freitag bietet sich die nächste Gelegenheit, um das Verhältnis zu beobachten: Dann soll Seehofer an der Wahl seines langjährigen Rivalen Söder teilnehmen, ihm per Handschlag den Posten übergeben. „Ich werde alles versuchen, um am Freitag dabei zu sein“, sagt Seehofer.
Und was sagt der Mann, der ab Freitag in der Staatsregierung das Sagen hat? Söder gibt sich vor den Kameras einmal mehr von seiner versöhnlichen Seite, spricht von zehn „sehr, sehr guten Jahren“, die Bayern unter Seehofer hatte, und von Chancen, die sich der neuen Doppelspitze mit einem „Super-Doppelpass“ zwischen Berlin und München böten. „Er mit seiner Erfahrung und Kraft in Berlin, wir mit Erneuerung und Aufbruch in Bayern.“ Wie er aber darauf kommt, Seehofers Abzug als Signal eines friedlichen Miteinanders aus innerer Überzeugung zu interpretieren, bleibt an diesem Tag Söders Geheimnis. Auch im soeben aufgelösten Kabinett.