Union und SPD einig über Versicherungsbeiträge
Berlin (dpa) - Auf dem Weg zu einer großen Koalition haben Union und SPD einen wichtigen Stolperstein aus dem Weg geräumt: Beide Seiten einigten sich am Freitag auf die künftige Finanzierung der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung.
Viele andere Fragen sind vor der entscheidenden Woche allerdings noch offen. Erklärtes Ziel ist es, den Koalitionsvertrag am Mittwoch zu präsentieren. Wenn die SPD-Basis zustimmt, könnte die neue schwarz-rote Regierung dann in der Woche vor Weihnachten die Arbeit aufnehmen.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) lobte nochmals das Klima der Gespräche. Mit der SPD sei man bei der Stärkung Europas und des Euro gut vorangekommen. „Wir müssen alles dafür tun, dass sich die krisenhaften Entwicklungen der vergangenen Jahre nicht wiederholen.“ Merkel hat mehrfach deutlich gemacht, dass eine große Koalition für sie die logische Folge des Wahlergebnisses vom 22. September ist.
Die CSU warnte auf ihrem Parteitag in München die Sozialdemokraten vor überzogenen Ansprüchen. Parteichef Horst Seehofer sagte „ganz extrem schwierige Tage“ voraus, aber mit „gutem Ende“. SPD-Fraktionsvize Hubertus Heil meinte: „Das werden noch harte Verhandlungen.“ Auch die SPD schließt ein Scheitern nicht aus. Denkbar wären dann neue Gespräche zwischen Union und Grünen, aber auch Neuwahlen.
An diesem Sonntag will die Union bei einer kleinen Runde im Kanzleramt die Verhandlungslinie für die letzten Tage festlegen. Die wichtigsten Entscheidungen werden dann vermutlich in Dreier-Runden von Merkel und Seehofer mit SPD-Chef Sigmar Gabriel fallen. Dort soll auch die Vergabe der Ministerposten festgezurrt werden. Erwartet wird, dass sich die Schlussverhandlungen bis tief in die Nacht hinein ziehen.
Zufrieden zeigten sich beide Seiten mit der Einigung über die Finanzfragen im Gesundheitswesen. Von pauschalen Zusatzbeiträgen sollen die Krankenversicherten künftig verschont werden. Stattdessen sollen die gesetzlichen Krankenkassen wieder unterschiedlich hohe prozentuale Beitragssätze erheben können, wie die Unterhändler Jens Spahn (CDU) und Karl Lauterbach (SPD) mitteilten. Der Pflegebeitrag soll spätestens zum 1. Januar 2015 um 0,3 und später um weitere 0,2 Prozentpunkte erhöht werden.
In anderen Streitfragen - wie zum Beispiel der höheren Mütterrente oder einer Pkw-Maut für Ausländer - steht eine Einigung hingegen noch aus. Beim CSU-Parteitag in München sicherte Merkel der CSU die Einführung einer Pkw-Maut unter zwei Bedingungen zu: Kein deutscher Autofahrer soll mehr zahlen müssen und die Maut soll europarechtlich unbedenklich sein. Während des Bundestagswahlkampfs hatte die CDU-Chefin noch abgelehnt. Die CSU wiederum kommt der Schwesterpartei CDU entgegen und rückt von ihrer Forderung nach Einführung bundesweiter Volksentscheide ab.
Bayerns Ministerpräsident Seehofer äußerte die Erwartung, dass beides - Mütterrente und Pkw-Maut - im Koalitionsvertrag stehen wird. Union und SPD seien sich einig, dass es keine Steuererhöhungen und künftig auch keine neuen Schulden geben werde. Eine generelle doppelte Staatsbürgerschaft werde dagegen nicht kommen.
Strittig ist vor allem noch die Finanzierung vieler Vorhaben. Aktuell fehlen etwa 40 Milliarden Euro, um alle Wünsche zu erfüllen. Die SPD hat einen gesetzlichen Mindestlohn zu einer ihrer Kernbedingungen gemacht. Die 470 000 SPD-Mitglieder sollen Anfang Dezember über die Koalitionsvereinbarung abstimmen dürfen. An der Basis gibt es zum Teil massive Kritik.
Nach einer Repräsentativ-Umfrage des Instituts YouGov für die „Bild“- Zeitung sind 44 Prozent der SPD-Wähler gegen eine große Koalition, 49 Prozent dafür. Der erfolglose SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück warnte vor einem Scheitern. „Das wär' ein Desaster“, sagte er in Berlin.
Nach dem jüngsten ARD-„Deutschlandtrend“ schwindet mit zunehmender Dauer der Koalitionsverhandlungen die Zustimmung der Deutschen für eine große Koalition. Immer noch spricht sich eine Mehrheit von 55 Prozent für ein schwarz-rotes Bündnis aus. Anfang Oktober waren es allerdings noch 66 Prozent. Immerhin 43 Prozent der Befragten sehen eine Neuwahl des Bundestages als Alternative - deutlich mehr als noch im Oktober (31 Prozent).
Die Personalentscheidungen wollen sich alle Beteiligten bis zum Schluss aufheben. Die CSU machte aber nochmals deutlich, dass sie drei Ministerposten beansprucht. In der CSU-Spitze wird fest damit gerechnet, dass Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich und Verkehrsminister Peter Ramsauer auch dem künftigen Kabinett angehören. Neu hinzukommen soll der bisherige Generalsekretär Alexander Dobrindt. Möglicherweise werden aber die Zuständigkeiten getauscht. Traditionell besetzt die CSU noch das Agrarministerium.
Die Grünen kritisierten, dass es für Versprechen in Höhe von 50 Milliarden Euro keinerlei Gegenfinanzierung gebe. „Wenn wir uns anschauen, was die große Koalition jetzt vorbereitet, dann ist das auf Kosten der kommenden Generation, es ist auf Kosten des Klimas und es ist alles andere als solide“, sagte ihre Fraktionsvorsitzende Katrin Göring-Eckardt. Dessen ungeachtet soll es künftig wieder einen schwarz-grünen Gesprächszirkel nach dem Vorbild der früheren „Pizza-Connection“ geben. Geplant wurde die Runde vom CDU-Politiker Spahn und dem Grünen-Verteidigungsexperten Omid Nouripour.