Verfassungsgericht prüft Gaucks Äußerungen zu Rechtsextremisten
Karlsruhe (dpa) - Kein Maulkorb für Joachim Gauck: Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe hat signalisiert, dass es dem Bundespräsidenten weitgehende Freiheit zur politischen Meinungsäußerung zubilligen will.
In einem von der NPD angestrengten Verfahren gegen Gauck zeigten die Richter am Dienstag mehrheitlich Verständnis für dessen umstrittene Äußerungen zu Rechtsextremisten. Nach Ansicht der rechtsextremen NPD hat Gauck dagegen seine Pflicht zur parteipolitischen Neutralität verletzt.
Die NPD fordere immerhin dezidiert die Abschaffung des Asylgrundrechts, sagte unter anderem Verfassungsrichter Peter Müller. Gauck hatte bei einer Veranstaltung vor Schülern in Berlin nach Auseinandersetzungen um ein Asylbewerberheim Proteste gegen die NPD begrüßt.
Dies führte zur Klage der rechten Partei. Karlsruhe muss nun grundsätzlich klären, wie weit das Staatsoberhaupt in Reden, Interviews und Gesprächen gehen darf. Mit einem Urteil ist in einigen Monaten zu rechnen.
„Der Bundespräsident muss und darf das sagen, was ihm wichtig ist, auch wenn er damit im Gegensatz zu einer politischen Partei steht“, sagte Gaucks Prozessvertreter Joachim Wieland in der mündlichen Verhandlung. Der Präsident stelle sich schützend vor die Werte der Verfassung. „Wo diese Werte angegriffen werden, kann er nicht neutral sein.“
Fünf der acht Richter zeigten deutliche Sympathie für Gaucks Worte. So musste sich NPD-Anwalt Peter Richter viele Fragen gefallen lassen. Vielleicht sei die Reaktion Gaucks abhängig vom Verhalten der NPD ausgefallen, sagte etwa Richter Müller. „Lässt sich Botschaft und Form konsequent trennen?“, fragte der Richter und Berichtserstatter des Verfahrens, Michael Gerhardt.
Gauck hatte Ende August auf wochenlange, von der NPD unterstützte ausländerfeindliche Proteste gegen ein Asylbewerberheim in Berlin reagiert und die Gegendemonstranten unterstützt. Vor rund 400 Schülern in Berlin sagte der ehemalige DDR-Bürgerrechtler: „Aber wir brauchen da Bürger, die auf die Straße gehen, die den Spinnern ihre Grenzen aufweisen. Und dazu sind Sie alle aufgefordert.“
Auf die Frage, was er von einem Verbotsverfahren gegen die NPD halte, sagte Gauck unter anderem: „Wir können die Partei verbieten, aber die Spinner und die Ideologen und die Fanatiker, die haben wir dann nicht aus der Welt geschafft.“ Denn diese seien nicht irgendwo in Lagern, sondern trieben in Kameradschaften und Cliquen weiter ihr Unwesen.
Die NPD ist der Ansicht, Gauck habe die Grenzen parteipolitischer Neutralität überschritten und sich unzulässigerweise in den Wahlkampf eingemischt. Es ist das erste Mal, dass ein Staatsoberhaupt wegen seiner Wortwahl verklagt worden ist.
Die Richter müssen daher erstmals die Grenzen präsidialer Ausdrucksweise ausloten. Gleichzeitig wollen sie offenbar eine Klagewelle unterbinden: „Wie wollen Sie verhindern, dass nicht alle Äußerungen auf den Tisch des Verfassungsgerichts landen, weil sie in irgendeiner Form parteipolitische Relevanz entfalten“, fragte Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle zum Beispiel den NPD-Anwalt Richter.
Der Bundespräsident sei eine Integrationsfigur, sagte Richter. Wenn er gesellschaftliche Themen aufgreife, müsse er sachlich bleiben. Gauck habe die erforderliche sachliche Ebene verlassen und die NPD und ihre Anhänger kurz vor der Bundestagswahl direkt angegriffen und verunglimpft. „Das geht in Richtung Schmähkritik“, meinte Richter.
Ein Bundespräsident dürfe seine Wortwahl dem Publikum anpassen, widersprach Wieland. Hier habe Gauck eine jugendgerechte Sprache für seine Zuhörer gewählt. „Da gibt es noch viel schlimmere Ausdrücke als „Spinner““.
Gauck selbst erschien nicht in Karlsruhe, doch zum Abschluss der Verhandlung verlas Staatssekretär David Gill eine Erklärung in seinem Namen. Das Amt des Bundespräsidenten könne „nur gelingen, wenn der Bundespräsident Werte und Positionen, deren Grundlagen in unserer Verfassung liegen, offen formulieren und verteidigen kann“, heißt es darin. „Der Bundespräsident wirkt durch das Wort.“