Vorsichtiger Optimismus vor Krisen-Gipfel in Brüssel
Berlin/Brüssel (dpa) - „Brexit“-Angst und Streit um die Flüchtlingspolitik: Kurz vor dem ersten EU-Gipfel dieses Jahres hat Bundeskanzlerin Angela Merkel Hoffnung auf Fortschritte bei der Bewältigung historischer Herausforderungen geäußert.
Das an diesem Donnerstag beginnende Treffen der Staats- und Regierungschefs könne eine weitere Etappe auf einem Weg werden, „der Europa bislang nach jeder Krise stärker werden ließ“, sagte sie in einer Regierungserklärung im Bundestag. Andere EU-Spitzenpolitiker hatten zuvor von einer „dramatischen Lage“ und der Gefahr eines Bruchs in der EU gesprochen.
Bei den Gesprächen in Brüssel wollen die Staats- und Regierungschefs die Verhandlungen um die von London geforderten EU-Reformen abschließen. Es wird gehofft, dass Zugeständnisse der EU die Briten dazu bringen, bei einem geplanten Referendum für einen Verbleib ihres Landes in der EU zu stimmen.
Mit Blick auf die Flüchtlingskrise werden vor allem Diskussionen um einen besseren Schutz der EU-Außengrenze zwischen Griechenland und der Türkei erwartet. Ein entscheidender Akteur wird dabei allerdings fehlen. Der türkische Ministerpräsident Ahmet Davutoglu sagte am Rande des Gipfels geplante Gespräche am Mittwochabend nach einem Bombenanschlag in Ankara kurzfristig ab.
Unterdessen setzte Österreich am Mittwoch ein weiteres Signal der Abschottung innerhalb der Europäischen Union. Von Freitag an will die Alpenrepublik an ihrer Südgrenze nur noch 80 Asylbewerber pro Tag ins Land lassen. Auch der südliche EU-Nachbar Slowenien will die Zahl der Flüchtlinge künftig begrenzen.
Die Kanzlerin machte deutlich, dass auch sie die bislang unkontrollierte und damit illegale Migration stoppen will. Dafür soll vor allem die EU-Außengrenze zwischen der Türkei und Griechenland besser gesichert werden.
Gleichzeitig verteidigte die CDU-Vorsitzende ihre Entscheidung, die deutschen Grenzen nicht für Bürgerkriegsflüchtlinge zu schließen. „Abschottung - das kann nicht die europäische Antwort sein, jedenfalls nach meiner festen Überzeugung nicht“, sagte sie. Die Flüchtlingskrise bezeichnete sie als „historische Bewährungsprobe“ für die Europäische Union.
Weniger kompliziert als erwartet werden sich vermutlich die Verhandlungen zu den britischen EU-Reformforderungen gestalten. „Die Basis ist gelegt, es gibt Aussicht auf eine Verständigung“, sagte ein ranghoher EU-Diplomat am Mittwoch in Brüssel.
Als besonders heikel galten bis zuletzt die Forderungen Großbritanniens, zugewanderten EU-Bürgern bestimmte Sozialleistungen für einen Zeitraum von bis zu vier Jahren vorenthalten zu können. Selbst Vertreter mittel- und osteuropäischer Staaten machten aber am Mittwoch deutlich, dass sie für einen Verbleib Großbritanniens zu Zugeständnissen bereit.
EU-Gipfelchef Donald Tusk glaube, der richtige Zeitpunkt für einen Deal sei erreicht, sagte ein Diplomat. Tusk plane eine Gipfeldebatte am frühen Donnerstagabend. Danach sollten Diplomaten und Juristen in Hinterzimmern weiter an den komplizierten Texten arbeiten, eine Abmachung der Chefs sei dann für den Freitagvormittag geplant. Der Diplomat sprach von einem „Englischen Frühstück“. Es sei noch viel Arbeit zu erledigen, denn das Paket enthalte rechtlich bindende Texte, die wasserdicht sein müssten.
Umstritten sind demnach noch mehrere Punkte. So geht es um die Frage, ob die jetzt verhandelten Änderungen bei künftigen Anpassungen der EU-Verträge verankert werden sollen. Fragen gebe es auch zu Einspruchsrechten nationaler Parlamente bei der EU-Gesetzgebung. Bei den Sozialleistungen sei noch nicht geklärt, wie lange das Sonderverfahren einer „Notbremse“ gelten könne. Diese Bremse soll dann gezogen werden können, falls eine außergewöhnlich starke Zuwanderung von EU-Bürgern belegt ist.
CSU-Chef Horst Seehofer stellte vor dem EU-Gipfel seine Kritik an Merkel (CDU) ein. „Jetzt hat eine Regierungschefin die faire Chance verdient, die Dinge in Europa zu diskutieren und zu verhandeln“, sagte er. „Da steht jetzt die Union zu unserer Kanzlerin, dass sie hoffentlich Erfolg hat.“
An der Position der CSU hat sich aber nichts geändert: Seehofer fordert nach wie vor nationale Maßnahmen zur Reduzierung der Flüchtlingszahlen. Damit liegt er auf der politischen Linie Tschechiens, Polens, Ungarns und der Slowakei. Sie erwägen den Weg von Griechenland in Richtung Westeuropa zu versperren, wenn die Regierung in Athen nicht für einen besseren Schutz der EU-Außengrenzen sorgt.