Bildbetrachtung Warum Steinmeiers Amtszimmer so hässlich ist

Das Bild von Steinmeier und Merkel im Amtszimmer im Schloss Bellevue ging um die Welt. Feststellung: Was für ein schäbiger Raum, verglichen etwa mit dem Oval Office oder dem Elysée-Palast. Warum gibt sich die deutsche Demokratie so wenig repräsentativ? Eine Spurensuche.

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Düsseldorf. Auch Geschichte wird bei Gebäck geschrieben. Aus dem Amtszimmer des Bundespräsidenten im Berliner Schloss Bellevue wurde uns am Montag eine Aufnahme von historischer Dimension übermittelt: Frank-Walter Steinmeier erläutert mit Angela Merkel die Konsequenzen aus den geplatzten Sondierungsgesprächen. Die CDU-Kanzlerin wirkt dabei in ihrer Kaffeekränzchen-Körperhaltung etwas zurückgenommen bis verschüchtert. Am Raum, der sie umgibt, kann das allerdings kaum liegen: Die nüchterne Ausstrahlung von Steinmeiers Amtszimmer ist nicht dazu angetan, Menschen übermäßig zu beeindrucken.

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Allerdings darf man von ihr im Umkehrschluss auch keine Stärkung des Selbstbewusstseins in unsicheren Zeiten erwarten. Der zentrale Repräsentationsraum der deutschen Demokratie, Empfangsort für Staatsgäste aus aller Welt, wirkt weitläufig, aber nicht weltläufig. Als müsste Deutschland 27 Jahre nach der Wiedervereinigung in seinen besten Anzug noch hineinwachsen.

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Das hat weniger mit den einzelnen Bestandteilen zu tun. Die Stilmöbel sind bestimmt wertvoll, der Teppich in seiner mutigen Farbgebung gewiss auch, die Gemälde ganz sicher: über dem Sofa das Bild „Dresden vom rechten Elbufer unterhalb der Augustusbrücke“ des venezianischen Malers Canaletto, geschaffen zwischen 1751 und 1753; über dem Schreibtisch die 45 Jahre später entstandene „Italienische Landschaft“ des Berliner Malers Adolf Friedrich Harper. Das eine Bild soll Deutschland aus italienischer Sicht zeigen, das andere Italien aus deutscher Sicht. Dazwischen: Deutschland aus deutscher Sicht — ein Sammelsurium.

Die Wirkung kommt nicht von ungefähr: Im April 1941 brannte Schloss Bellevue nach Bombenangriffen aus, die gesamte Einrichtung besteht aus Leihgaben quer durch die Republik. Der Föderalismus hat so auf subversive Art einen Fuß in die Tür der Berliner Republik bekommen. Das Mobiliar in Steinmeiers Amtszimmer wie auch in seinem zweiten Amtssitz, der Villa Hammerschmidt in Bonn, wurde beispielsweise vom Schloss Wilhelmshöhe in Kassel zur Verfügung gestellt.

Der Bundespräsident und die Bundeskanzlerin beraten die Zukunft der Republik nun ausgerechnet auf Sesseln aus der Epoche des Empire, was im Französischen Kaiserreich bedeutet und ein galanter Verweis darauf ist, dass es andere Demokratien auf dieser Welt leichter haben mit dem Repräsentativen.

Die französische Demokratie beispielsweise hat sich nämlich einfach in das gemachte Nest der Monarchie gesetzt. Der französische Präsident Emmanuel Macron mag bei seinen Auftritten so modern, smart und nahbar daherkommen, wie er will, ein Empfang im prunkvollen Elysée-Palast verleiht ihm automatisch eine geradezu napoleonisch anmutende Autorität — auch wenn Napoleon Bonaparte dort im silbernen Salon einst seine Abdankung unterzeichnete. Am Schreibtisch des französischen Präsidenten aus dem Jahr 1740 saß auch schon Ludwig XV., weswegen man schnell darüber hinwegsieht, dass der Palast selbst nie Königssitz war. Aber allein die Geschichte als Sitz der Präsidenten geht bis ins Jahr 1873 zurück. Dagegen sieht Schloss Bellevue doch etwas blässlich aus: Seit 1959 diente es dem Bundespräsidenten als zweiter Amtssitz, erst Richard von Weizsäcker erhob es 1994 zum ersten Amtssitz. Das ist gerade mal 23 Jahre her.

Man meint auch dem Oval Office im Weißen Haus in Washington anzusehen, dass es eine etwas ausgeprägtere Erfahrung in Repräsentationsfragen hat. Satte 200 Jahre ist hier die Demokratie schon beheimatet. Und wenn sie sich einen Schreibtisch ins Haus holt, dann muss der schon aus den Resten eines britischen Polarforschungsschiffes bestehen, das amerikanische Walfänger 1855 aus dem ewigen Eis befreiten.

Seit der republikanische US-Präsident Rutherford Hayes das Geschenk des britischen Königshauses 1880 erhielt, haben fast alle amerikanischen Präsidenten daran gesessen. Präsident Roosevelt sorgte dafür, dass eine Frontplatte mit dem Staatswappen den Blick auf seine von Kinderlähmung gezeichneten Beine verdeckte. Jacqueline Kennedy holte den „Resolute Desk“ dann 1961 ins Oval Office, wo er bis heute steht.

Geschichte, die aus sich selbst heraus Strahlkraft entwickelt. Im Amtszimmer von Bundespräsident Steinmeier scheint es dagegen noch immer einer demokratischen Rückversicherung zu bedürfen: Auf dem Regal in seinem Rücken steht markant aufgerichtet und von Markus Lüpertz künstlerisch gestaltet — das Grundgesetz.