Interview Willkommenskultur im Stresstest - „Die vergiftete Debatte muss wieder geradegerückt werden“

Berlin · Der Uno-Flüchtlingshilfe-Chef Peter Ruhenstroth-Bauer spricht über Populismus und Bürger-Engagement.

 Ein Bild aus dem Krisenjahr 2015: Flüchtlinge gehen in Passau (Bayern) am Bahnhof zu einem Sonderzug, der nach Düsseldorf fährt.

Ein Bild aus dem Krisenjahr 2015: Flüchtlinge gehen in Passau (Bayern) am Bahnhof zu einem Sonderzug, der nach Düsseldorf fährt.

Foto: NN

 Als nationaler Partner des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen (UNHCR) mobilisiert die Uno-Flüchtlingshilfe die deutsche Zivilgesellschaft, um Projekte des UNHCR finanziell zu unterstützen. Zugleich fördert sie Projekte für Geflüchtete in Deutschland. Wie steht es um diese Arbeit in Zeiten wachsender Vorbehalte gegenüber Fremden? Darüber spricht der Geschäftsführer der gemeinnützigen Organisation, Peter Ruhenstroth-Bauer:

Herr Ruhenstroth-Bauer, was ist von der vormaligen Willkommenskultur für Flüchtlinge noch übriggeblieben?

Peter Ruhenstroth-Bauer: Allen Unkenrufen zum Trotz sehr, sehr viel. Auch für das vergangene Jahr können wir feststellen, dass die Willkommenskultur in Deutschland den Stresstest bestanden hat.

Welche Veränderungen beobachten Sie?

Ruhenstroth-Bauer: Seit 2015 sind die öffentliche Diskussion und die Medienberichterstattung emotionaler und weniger faktenorientiert. Und trotzdem ist das Engagement für Flüchtlinge weiterhin sehr hoch.

Im Osten ist die AfD besonders stark. Haben es Projekte für Geflüchtete dort schwerer?

Ruhenstroth-Bauer: Initiativen in Ostdeutschland berichten uns vermehrt über Schwierigkeiten. Ehrenamtliche müssen sich auch im eigenen Bekanntenkreis zunehmend rechtfertigen, das macht das Umfeld für diese wichtige Arbeit in Ostdeutschland teilweise schwieriger. Insgesamt setzen wir weiterhin auf die Hilfsbereitschaft der Deutschen und gehen davon aus, dass das Spendenaufkommen für die UNO-Flüchtlingshilfe steigen wird.

Wo steht Deutschland heute bei der Integration der Flüchtlinge?

Ruhenstroth-Bauer: Ein wesentlicher Erfolgsfaktor für die Integration von Flüchtlingen ist und bleibt ein fester Arbeitsplatz. Nicht nur, um Geld zu verdienen. Mindestens genauso wichtig sind die Gespräche mit deutschen Kollegen und das Kennenlernen ihrer kulturellen Erfahrungen. Wenn von den Geflüchteten im erwerbsfähigen Alter, die seit 2015 nach Deutschland kamen, inzwischen etwa jeder Dritte einer Arbeit oder Ausbildung nachgeht, dann ist das ein großer Integrations-Erfolg, der alle rechtspopulistischen Horror-Szenarien Lügen straft.

Wo liegen die Schwerpunkte Ihrer Arbeit hier in Deutschland?

Ruhenstroth-Bauer: Wir unterstützen Initiativen, die unabhängige Rechtsberatung oder psychosoziale Betreuung für Geflüchtete anbieten. Ein Beispiel:  Mehr als die Hälfte der Geflüchteten kommt traumatisiert in Deutschland an. Nach geltendem Recht haben sie erst nach 15 Monaten ihres Aufenthalts die Möglichkeit, sich dagegen behandeln zu lassen. Das ist viel zu spät. Deshalb unterstützen wir psychosoziale Zentren, die solche Leistungen auch schon vorher erbringen. Es geht zudem auch viel um Integration.

Was passiert da genau?

Ruhenstroth-Bauer: Auch hier ein Beispiel:  In München gibt es eine Initiative, die auf begleitende Maßnahmen für Geflüchtete bei ihrer Jobsuche und nach Beginn eines neuen Arbeitsverhältnisses nach Antritt ihres Jobs abzielt. Häufig fehlt dabei jedoch das nötige Geld. Wenn Initiativen zum Beispiel 70 Prozent der Mittel haben, dann können sie bei der UNO-Flüchtlingshilfe Anträge stellen, um die fehlenden 30 Prozent zu erhalten. Auf diese Weise werden solche Projekte oft erst möglich. Zurzeit fördern wir bundesweit etwa 80 solcher Projekte.

Was wünschen Sie sich für das neue Jahr?

Ruhenstroth-Bauer: Ich wünsche mir  ein noch stärkeres politisches Engagement für Menschen, die bei uns Schutz suchen. Die zum Teil sehr schräge, ja vergiftete öffentliche Debatte muss endlich wieder geradegerückt werden.

Soll heißen?

Ruhenstroth-Bauer: 68,5 Millionen Menschen sind weltweit auf der Flucht. Davon sind ganze 2,5 Millionen in Europa untergekommen. Das bedeutet, wir tragen gar nicht die Hauptlast der Herausforderungen, wie es fälschlicherweise oft heißt. Unsere Gesellschaft muss das große Engagement der vielen Flüchtlingshelfer zwischen Flensburg und Garmisch, Saarbücken und Chemnitz wieder besser zu schätzen wissen.