Interview Das sagt Armin Laschet zum Abschied von der Steinkohle

Düsseldorf · Ministerpräsident Armin Laschet im Interview über Unterschiede beim Kohleausstieg, den Strukturwandel im Rheinischen Revier und die Idee deutsch-französischer Aktionen zur Europawahl.

„Die Steinkohle bleibt über ihr Abbauende hinaus eine der Wurzeln unseres Landes“: Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) im Gespräch mit Chefredakteur Ulli Tückmantel, der stellvertretenden Chefredakteurin Annette Ludwig und Redakteur Ekkehard Rüger (v. r.).

Foto: Lepke, Sergej (SL)

Herr Ministerpräsident Laschet, was wird den Abschied von der Steinkohle unterscheiden von dem Abschied, den wir eines Tages von der Braunkohle feiern?

Armin Laschet: Die Steinkohle hat unser Land geprägt, schon vor dem Krieg, aber besonders nach dem Zweiten Weltkrieg als der Gründungsmythos, der den Wohlstand erst möglich gemacht hat. Dazu kommt die besondere Tradition der Steinkohle-Bergleute: Vor 60 Jahren haben 500 000 Menschen in und mit der Steinkohle gearbeitet, sie hatten Partner, Kinder, Nachbarn, Freunde, sodass Millionen Menschen durch die Steinkohle geprägt wurden oder von ihr gelebt haben. Die Steinkohle bleibt über ihr Abbauende hinaus eine der Wurzeln unserer Landes. Der Ausstieg wurde 2007 ja in erster Linie aus wirtschaftlichen Gründen beschlossen, die Bergleute demonstrierten dagegen. Bei der Braunkohle ist es umgekehrt: Heute demonstrieren Menschen für den Ausstieg.

Darf man bei der Braunkohle mit dem Strukturwandel auf den Ausstieg warten oder müsste man nicht jetzt beginnen?

Laschet: Strukturen wandeln sich ja nicht, wenn Politik das beschließt, sondern fortlaufend. Wenn im Januar in Berlin entschieden ist, wann die Braunkohleverstromung endet, haben wir eine klare Perspektive, den Wandel zu gestalten.

Foto: Lepke, Sergej (SL)

In der öffentlichen Wahrnehmung ist die Lausitz dabei sehr gut aufgestellt. NRW ist mit seinen Forderungen eher zurückhaltend.

Laschet: Wir sind bei der Frage, was erforderlich ist, sehr gut aufgestellt. Einige Ministerpräsidenten im Osten sind manchmal lauter und fordern Maximalsummen. Aber was das Rheinische Revier im Konsens mit allen Beteiligten, vor allem den Kommunen, erarbeitet hat, ist weitergehender, nachhaltiger und konkreter als manche Forderung aus dem Osten. Dazu kommt, dass die Braunkohle-Industrie in den neuen Ländern der größte Arbeitgeber ist, während wir eine sehr vielseitig aufgestellte Region sind, in der der Wandel natürlich trotzdem begleitet werden muss.

Wohin soll das Geld denn fließen?

Laschet: Wir haben durchgesetzt, dass natürlich auch die Steinkohle angerechnet wird bei der Berechnung zur Reduzierung von CO2. Wenn Steinkohlekraftwerke schließen, hilft uns das also bei der Klimaverbesserung. Das bedeutet konkret, dass auch Kommunen im Ruhrgebiet, in denen es viele Steinkohlekraftwerke gibt, von den Mitteln profitieren werden. Und im Rheinischen Revier müssen industrielle Strukturen ermöglicht werden, um den Menschen den Wechsel von einem Job in einen anderen zu ermöglichen. Wir müssen dabei an die dort bestehenden Strukturen anknüpfen. Es ist unsere erklärte Strategie, Potenziale der Region aufzugreifen und zu verstärken.

Zum Beispiel?

Laschet: Wir setzen uns etwa für ein Projekt eines Wärmespeicher-Kraftwerks am ehemaligen Kohlekraftwerksstandort ein. Neue Chancen brächte der gesamten Region auch die Ansiedlung einer Batteriezellproduktion. Das Ziel ist die Sicherung von Entwicklungs- und Produktions-Know-how, die Unabhängigkeit von anderen Zell-Produzenten wie etwa aus Asien. Im Dreieck Aachen–Köln–Düsseldorf entsteht bereits mit hoher Dynamik ein Elektromobilitäts-Cluster mit mehreren Herstellern von Elektrofahrzeugen.

Wie geschickt war es, die Schlagzeile „Bundesländer verhindern Digitalpakt“ zu produzieren?

Laschet: Schlagzeilen schreiben nicht Politiker. Sie hätten ja auch schreiben können: Länder verteidigen ihre bürgernahe Bildungspolitik. Denn darum geht es ja. Seit Oktober 2016 ist der Bund nicht in der Lage, das Geld für den Digitalpakt in die Schule zu bringen. Über Nacht hat dann der Bundestag eine völlige Veränderung der Finanz- und Bildungsverfassung ins Grundgesetz schreiben wollen. Dabei könnte das Geld bereits jetzt ohne diese tiefen Eingriffe in unser Grundgesetz fließen, wenn der Bund nur wollte.

Sie waren nicht in die Gespräche eingebunden?

Laschet: Kein Ministerpräsident, egal welcher Partei, war an der Einigung am Ende beteiligt. Das zeigt, wie weltfremd mancher im Bundestag über Föderalismus denkt. Mancher glaubt vielleicht, man kann einfach etwas Derartiges beschließen, und dann gilt das. Es gibt aber zwei Bundesorgane. Der Bundesrat ist bei solchen Gesetzen zu berücksichtigen.

Aber Ihre eigene Bildungsministerin ist bis zuletzt davon ausgegangen, dass das Geld über die Grundgesetzänderung jetzt schnell nach NRW fließt. Und dann grätschen Sie dazwischen.

Laschet: Wir sind uns in der NRW-Koalition einig, dass wir den Digitalpakt wollen. Die Bundesmittel dafür müssen fließen. Man kann aber den Weg dahin so oder so gehen. Ich glaube, dass das auch ohne Grundgesetzänderung ganz schnell umgesetzt werden kann. Die Idee für diese Änderung ist ja aus der Verärgerung des Bundes entstanden, dass bei der Verwendung der Bafög-Mittel das Geld in der Vergangenheit in den allgemeinen Landeshaushalt geflossen ist und nicht für die Bildung verwendet wurde. Das war damals auch unsere Kritik als Opposition an der rot-grünen Landesregierung. Beim Digitalpakt ist das anders: Bis ins Detail haben Bund und Länder festgelegt, wie das Geld eingesetzt werden soll.

Ihr Lösungsvorschlag?

Laschet: Bei den Gemeinschaftssteuern, die unsere Finanzämter einnehmen und unsere Bürger zahlen, muss man klar definieren, für welche gemeinschaftlichen Aufgaben sie eingesetzt werden sollen. Mit der Digitalisierung gibt es im Bildungsbereich neue Aufgaben. Diese Steuern, die man dafür festlegt, müssen dann zugunsten der neuen Aufgabe zweckgebunden verteilt werden zwischen dem Bund und den zuständigen Ländern.

Tut das Land in Sachen Dieselfahrverbote derzeit etwas anderes, als auf den Instanzenweg zu warten?

Laschet: Das Land kann keinen Luftreinhalteplan ohne eine Stadt entwickeln, auch wenn es formal der Beklagte ist. Wir fordern die Kommunen auf, neue Pläne zu erstellen, und helfen beispielsweise bei der Umrüstung der Busse oder der Einrichtung von Ladestationen. Wir unterstützen die Städte mit ganzer Kraft, damit Fahrverbote vermieden werden können.

Geht denn das Land energisch genug vor, damit der Verkehr nicht irgendwann zum Erliegen kommt?

Laschet: Die Werte werden seit vielen Jahren überschritten. Man hat sich über Jahre im Wechsel um Feinstaub, CO2 und sonst was gekümmert, aber eben nicht genug um Stickoxide. Jetzt sagen die Richter: Es reicht, ihr hattet Zeit genug. Das Bundesverwaltungsgericht hatte ja in besonderer Weise auf die Verhältnismäßigkeit von Maßnahmen, die ergriffen werden, hingewiesen. Und ich glaube, dass etwa eine Sperrung der A40 nicht verhältnismäßig ist und nicht zu einem Weniger, sondern zu einem Mehr an Stickoxiden auf den Ausweichstrecken in den Städten führt. Das muss nun juristisch geklärt werden.

Muss nicht auch vermittelt werden, dass es so mit dem Individualverkehr nicht weitergehen kann?

Laschet: Es gibt ja gezielte Hilfen, dass die Kommunen auch den ÖPNV stärken können. Diese Debatte um das Auto wird ja manchmal eher über den Bauch als den Kopf geführt. Da sollte man vorsichtig sein. Wenn jetzt der moderne Diesel verteufelt wird, aber die Leute wieder mehr Benziner kaufen, ist das für den Klimawandel übrigens noch schädlicher. Ich werbe für mehr Rationalität und Lösungen der Vernunft, die auch über Jahresfrist hinaus tragen.

Glauben Sie noch an einen geordneten Brexit?

Laschet: Diese Machtspiele zwischen britischer Regierung und Opposition sind unverantwortlich. Ein ungeordneter, ein harter Brexit hat kaum kalkulierbare Folgen für alle. Das wäre in der Kategorie des Zusammenbruchs der Lehman-Bank 2008.

Was bedeutet das für die Europawahl?

Laschet: Europa steht vor einem Schicksalsjahr. In unserer gemeinsamen europäischen Geschichte waren der Multilateralismus und die enge Zusammenarbeit noch nie so unter Druck. Extremisten und Populisten nehmen Europa von rechts und links in die Zange. Ich hoffe, die Europawahl wird darauf eine Antwort geben: Wenn mehr Menschen wählen gehen und eine der demokratischen Parteien, also 50, 60, 70 Prozent proeuropäisch wählen, ist das unser aller Signal, dass wir das europäische Projekt erhalten wollen. Da liegt viel an Deutschland, das die größte Gruppe im Europäischen-Parlament stellt, für stabile Verhältnisse zu sorgen.

Wie will NRW dafür seinen Vorsitz in der Europaministerkonferenz nutzen?

Laschet: Wir wollen den Bürgern diese Bedeutung über Parteigrenzen hinweg durch viele Aktionen vermitteln. In Frankreich ist das doppelt wichtig, weil die Bewegung „En Marche“ außerhalb von Paris im Land nicht substanziell verankert ist und es so keinen direkten Transfer gibt zu vermitteln, was eigentlich auf dem Spiel steht. Daher gibt es die Idee von deutsch-französischen Aktionen mit den Regionalpräsidenten dort und den Ministerpräsidenten, um die Bürger vor Ort von der Bedeutung des gemeinsamen Europas besser überzeugen zu können.

Bleibt Friedrich Merz der Brexit-Beauftragte der Landesregierung?

Laschet: Seine Aufgabe nimmt er weiter wahr.

Aber mit einem Kabinettseintritt wäre das nicht zu vereinbaren. Halten Sie das für wahrscheinlich?

Laschet: Friedrich Merz und die neue Parteivorsitzende sind im Gespräch über seine Einbindung. Dem will ich nicht vorgreifen.

Seit dem CDU-Parteitag gibt es für die CDU bessere Umfragewerte. Wegen oder trotz Frau Kramp-Karrenbauer?

Laschet: Es gibt für beide Volksparteien ein leichtes Ansteigen der Werte, weil sich die alte These bewahrheitet: Wenn ihr nicht streitet, sondern etwas bewegt, gute Arbeit macht, werden die Populisten kleiner und die Volksparteien größer. Andere sagen, das Jahr 2015 darf sich nicht wiederholen. Ich sage, das Jahr 2018 mit seinen ständigen Streitereien, besonders zwischen CDU und CSU, darf sich nicht wiederholen. Da bin ich mir mit dem bayerischen Ministerpräsidenten und künftigen CSU-Chef vollkommen einig.