Bundestag Zum letzten Schlagabtausch im Bundestag schickt die Opposition ihre Spitzenkandidaten
Berlin. Man schlägt sich, man verträgt sich. So ist Politik. In der voraussichtlich letzten Sitzung des 18. Deutschen Bundestages gibt es eine Menge Vorwürfe, denn alle stecken ja mitten im Wahlkampf.
Aber man nehme nur Angela Merkel (CDU) und Sigmar Gabriel (SPD): Beide tuscheln und feixen viel auf der Regierungsbank. Auch wenn Gabriel sich später in Sachen Rüstungsausgaben klar gegen die Kanzlerin stellt, die letzten gemeinsamen vier Jahre waren wohl doch nicht so schlecht.
Und weil das so ist, hat die Kanzlerin am Morgen ihrem Kleiderschrank die großkoalitionäre Kluft entnommen: Knallroter Blazer, schwarze Hose. Merkel macht das meist bewusst. Im Bundestag wird aber deutlich, dass manch anderem Koalitionär eine ähnliche Lässigkeit mit Blick auf das Bündnis aus Union und SPD fehlt.
Bestes Beispiel dafür ist Fraktionschef Thomas Oppermann. Klar, auch er sagt: „Ich bin stolz darauf, was wir gemeinsam erreicht haben.“ Aber vieles habe die SPD hart erkämpfen müssen, „auch gegen Sie, Frau Merkel“. So habe die Kanzlerin höchstpersönlich „die Mietpreisbremse bis zu Unkenntlichkeit geschliffen“. Nach zahlreichen Attacken ruft Oppermann noch, das Land brauche einen anderen Bundeskanzler. Merkel grinst, Gabriel auch. Vermutlich, weil Wunsch und Wirklichkeit angesichts der Umfragen nicht gerade eng beieinander liegen. Volker Kauder, Unionsfraktionschef, erinnert genüsslich an seinen Freund Peter Struck. Der war SPD-Fraktionschef während der großen Koalition von 2005 bis 2009. Anschließend habe der inzwischen verstorbene Struck in einem Buch geschrieben, gleichzeitig Regierung und Opposition zu sein, gelänge nicht. Genau das ist das Dilemma der SPD in den letzten vier Jahren, will Kauder damit sagen.
Diszipliniert lehnt die große Koalition freilich noch einen Antrag der Opposition ab, über Atomwaffen zu debattieren. Für den letzten Schlagabtausch im Parlament zur „Situation in Deutschland“ bieten alle noch einmal ihre Zugpferde auf. Die Opposition schickt also ihre Spitzenkandidaten vor — der Grüne Cem Özdemir greift Merkel heftig wegen ihrer Rolle im Dieselskandal an. „Sie sind die, die Fahrverbote durch Nichtstun erzwingt.“ Merkel, immer noch gut gelaunt, hört sogar der Linken Sahra Wagenknecht zu, die sie ansonsten mit Missachtung straft. Wagenknecht schimpft, der Wahlkampf der Kanzlerin sei „einlullen, inhaltsleer, demobilisieren“. Sie ergänzt: „Die meisten Menschen haben die Hoffnung auf einen Wechsel aufgegeben.“ Die Linke auch?
Jedenfalls steht Merkel bei den Demoskopen gut da. Sie lobt die Erfolge der Koalition, mahnt aber mehr Innovationskraft an. „Wir wollen nicht im Technikmuseum als Deutschland enden.“ Zum Wahlkampf-Streit um die Erhöhung der Verteidigungsausgaben betont sie: SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz habe eine Steigerung des Verteidigungsetats von drei bis fünf Milliarden Euro pro Jahr gefordert. „Ich hoffe, dass das Wort des Kanzlerkandidaten gilt.“ Am Ende ihrer Rede rutscht Merkel raus, „weil meine Zeit auch so gut wie vorbei ist...“, was für freudiges Gejohle bei SPD, Linken und Grünen sorgt. Sie meint ihre Redezeit. Kopfschüttelnd blickt die Kanzlerin ins Plenum: „Leute kommt, es sind noch wenige Tage bis zur Wahl!“ Stimmt.
Wie man ihr freilich als Koalitionspartner Paroli bieten kann, ohne die von Kauder erwähnte Struck‘sche Erkenntnis zu verletzen, beweist Vizekanzler und Außenminister Sigmar Gabriel. Die Rede des SPD-Mannes ist klug austariert, versehen mit süffisanten Spitzen. Er lobt Merkel für die Zusammenarbeit, die „immer fair und immer belastbar“ gewesen sei. Dann kritisiert er, momentan werde „fast ausschließlich über Aufrüstung geredet“. Deutschland müsse aber wieder eine Stimme für „Abrüstung und Rüstungskontrolle“ sein. Das Zwei-Prozent-Ziel der Nato zu den Rüstungsausgaben der Mitgliedsstaaten nennt er „irre“. Nachdem sich Gabriel wieder gesetzt hat, steht Merkel auf, grinst, raunt ihm etwas zu und verlässt das Parlament. Man schlägt sich, man verträgt sich.