Amoklauf-Alarm: Trieb Polizei Schüler in den Tod?
Der angeblich vereitelte Amoklauf und der Selbstmord eines 17-Jährigen bringen Polizei und Schulministerin in Bedrängnis.
Düsseldorf. Noch am Mittwochmorgen war die Lobeshymne der Schulministerin auf der Internetseite des NRW-Ministeriums in allen Einzelheiten nachzulesen. "Die Amok-Tat konnte durch die Aufmerksamkeit der Mitschüler, durch die schnelle Reaktion der Schulleitung und die gute Zusammenarbeit mit der Polizei verhindert werden", hieß es dort. Grundsatz ihrer Schulpolitik sei: "Es darf keiner unterwegs verloren gehen."
Dann der neue Text am Nachmittag. Innenminister Ingo Wolf und Schulministerin Barbara Sommer lassen mitteilen: "Wir arbeiten bei der Aufklärung der Gesamtumstände eng zusammen." Die Landesregierung habe eine "umfassende Prüfung" veranlasst.
Und die geht so: Am vergangenen Freitag werden zwei Bezirkspolizisten von der Schule alarmiert. Ein 17-Jähriger habe Fotos eines amerikanischen Schulmassakers ins Internet gestellt. Die Beamten sprechen mit dem Schüler, es ist nach ihrer Darstellung "ein sehr positives Gespräch". Danach wirft sich der 17-Jährige aber vor eine Straßenbahn. Er ist auf der Stelle tot. Die Polizei forscht weiter und findet heraus, dass der Jugendliche gemeinsam mit einem 18-jährigen einen Amoklauf geplant hat.
Seit Montag mehren sich die Ungereimtheiten. So findet die Staatsanwaltschaft heraus, dass die beiden Schüler ihre Amokpläne schon vier Wochen zuvor begraben haben - von einer Gefährdung konnte also keine Rede sein. Noch stärker ins Zwielicht gerät die Polizei durch Schilderungen des stellvertretenden Schulleiters und eines Psychologen. Sie berichten, der 17-Jährige sei unter dem Vorwand, mal kurz zur Toilette zu müssen, aus dem Gespräch mit der Polizei weggelaufen. Stimmt diese Version, dann würden sie eine Mitschuld am Tod des Schüler tragen.
Kölns Polizeipräsident Steffenhagen hingegen behauptet: Nein, der 17-Jährige sei nicht entwischt, sondern nach Ende des Gesprächs gegangen. Und dann die widersprüchlichen Aussagen der Schulleiterin. Am Montag noch hatte sie behauptet, das Gespräch mit den Polizisten sei offenbar der Auslöser für den Freitod gewesen. Am Mittwoch dementierte sie. Warum? Und noch eine Frage istzu klären: Wieso hatte die Schulleitung dem Ministerium nicht Montag umgehend die eigene Sicht der Dinge geschildert?
Verdacht Die Internetwache der NRW-Polizei, die wenige Wochen nach dem Amoklauf von Emsdetten eingerichtet wurde, hat seit ihrem Start mehr als 1800 Hinweise auf verdächtige Netzinhalte entgegengenommen, so der Sprecher des Landeskriminalamtes (LKA), Frank Scheulen. Zwar ließen sich von den zwischen Januar und Oktober eingegangenen 1846 Online-Meldungen 1089 nicht verwerten. Diese hohe Quote nehme die Polizei aber in Kauf, "um den einen relevanten Hinweis nicht durchflutschen zu lassen".
Meldung Internetnutzer können - wenn sie etwa in einem Online-Forum auf die Ankündigung eines Amoklaufs oder eine andere Straftat stoßen - vom Rechner zu Hause ein Formular ausfüllen und an die Internetwache abschicken. Die Meldung läuft direkt beim rund um die Uhr besetzten Lagedienst auf, wo sie von speziell geschulten Beamten ausgewertet wird. Nach Erkenntnissen der Polizei werden gerade Amoktaten häufig im Internet angekündigt.
Tipps Von den verwertbaren Hinweisen drehten sich laut LKA 199 um Gewaltbereitschaft und Waffen. 325Meldungen wiesen auf Sexualdelikte und Kinderpornografie hin, 125 auf politisch motivierte Straftaten, 36 auf Gewalt in den eigenen vier Wänden, 35 auf Delikte im Zusammenhang mit Drogen sowie 33 auf Selbstmorde.
Ermittlungen Wenn ein Hinweis eingeht, ermitteln die Beamten zunächst, wo sich der Rechner befindet, von dem aus die verdächtigen Inhalte ins Netz gelangten. Dann wird die zuständige Polizeidienststelle informiert, die der Sache weiter nachgeht. Eine Auswertung, wie diese Dienststellen damit weiter verfuhren, gibt es laut LKA nicht.