Analyse: Merkel steht vor der Quadratur des Kreises
Der Vorstoß von Rüttgers zur Rente könnte in der Partei eine neue Diskussion über den zukünftigen Kurs auslösen.
Berlin. Ordnungspolitik ist ein tristes Wort, das oft erst an Reiz gewinnt, wenn Unordnung herrscht. Angela Merkel hat gegen Prinzipien der Ordnungspolitik verstoßen, um Rentnern eine Wohltat mit freundlichen Grüßen der Bundesregierung zukommen zu lassen, und sich damit viele Probleme zugezogen. Erstens empfanden viele Rentner die Erhöhung um 1,1 Prozent als beleidigend gering. Zweitens begehrten viele Jüngere auf, weil sie die milliardenhohen Kosten finanzieren müssen.
Drittens diskutiert spätestens seit Roman Herzogs Erfindung der "Rentner-Demokratie" die ganze Republik über Gerechtigkeit. Viertens passierte das, was in einer Mediengesellschaft nicht ungewöhnlich ist: Jürgen Rüttgers’ wiederholt erhobene Forderung nach einer steuerfinanzierten Mindestrente für langjährige Geringverdiener fiel plötzlich in eine fruchtbare Stimmung und wurde auf die Bundesebene transportiert.
Merkel übermittelte ungewohnt schnell ihr Nein. Vermutlich wollte sie verhindern, dass die gesamte Rentendebatte ihrer Partei und Person angeheftet wird. Doch sie muss sich nun von der NRW-CDU belehren lassen, dass Rüttgers bloß eine solche Mindestrente verlangt, wie die CDU sie auf dem Parteitag in Leipzig 2003 in einem Leitantrag beschlossen hat. Es war ausgerechnet der Parteitag, auf dem die Vorsitzende ihre Partei auf ein neoliberal anmutendes Reformprogramm einschwor.
Merkel hat nun das Kunststück vor sich, halbwegs plausibel zu begründen, warum sie eine Rentenerhöhung trotz eingeräumten ordnungspolitischen Unbehagens für richtig hält und gleichzeitig eine von der CDU beschlossene Mindestrente für falsch. Und das unter scharfer Beobachtung ihrer wahrscheinlich wichtigsten Wählerschaft, der rund 20 Millionen Rentner.
Eineinhalb Jahre vor der Bundestagswahl könnte nun aufbranden, was Merkel seit ihrem missratenen Wahlkampf 2005 unterdrückt hat: die Diskussion über den Kurs der Partei. Der Chef des Wirtschaftsflügels, Josef Schlarmann, hat anlässlich der Rentenerhöhung seinen Unmut über das verschwundene Reformprofil der CDU sehr hart formuliert. Und der Sozialflügel besitzt mit Rüttgers einen zusehends prominenter werdenden Lautsprecher. Einmal hat sich der NRW-Ministerpräsident mit Hilfe von SPD-Chef Kurt Beck bereits gegen Merkel durchgesetzt. Das Arbeitslosengeld I wurde verlängert.
Die SPD kann relativ gelassen auf den Mindestlohn als Mittel gegen Altersarmut verweisen und den Streit in der CDU beobachten. Augenblicklich dienen die Sozialdemokraten Merkel nicht einmal als öffentlicher Blitzableiter, weil sie sich ausnahmsweise vertragen. Und wer das Interview mit Rüttgers über Rente und mehr in der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" nachliest, ahnt bereits, was aus NRW demnächst auf Merkel zukommt: die Erhöhung des Schonvermögens bei Hartz IV.