Bahnstreik: Vier Stunden Zigarettenpause
Verspätungen: Die meisten Bahnkunden mussten sich auf Unannehmlichkeiten einstellen.
Essen. 8.20 Uhr, Essen Hauptbahnhof, Gleis 7. "Wie komme ich nach Düsseldorf? Nach Oberhausen? Und wie nach Wuppertal?" Christoph Schmidt (24) vom Servicepersonal der Bahn kann sich vor Anfragen kaum retten. Geduldig steht er mit seiner roten Mütze am Treppenaufgang und antwortet auf jede Frage - egal wie oft sie kommt. Dann ein kritischer Moment. Seine Wangen röten sich, als er das Ticket eines ausländischen Reisenden mit dem Ziel Amsterdam studiert. Schließlich spricht Schmidt die unangenehme Wahrheit aus: "Das werden Sie nicht mehr schaffen."
Unangenehme Wahrheiten gibt es an diesem Morgen viele. An eine von ihnen erinnert eine betont freundliche Frauenstimme die Fahrgäste über die Lautsprecher alle zehn Minuten neu: "Die Züge verspäten sich auf unbestimmte Zeit." Nur an Gleis Eins rollt hin und wieder ein Zug ein. Wer in Richtung Oberhausen und Düsseldorf will, hat damit Glück. Unbeleuchtete S-Bahnen, Regional- und Intercityexpresse verstopfen die restlichen Gleise - stehen da wie Geisterzüge. Da reicht es auf den blauen Anzeigetafeln zu einer nächsten der besagten Wahrheiten: "Bitte nicht einsteigen."
Es ist Streik. Seit 5 Uhr. Auf den Bahnsteigen laufen Lokführer, schwenken weiß-grüne Fahnen. Die Züge plakatieren sie mit "Dieser Betrieb wird bestreikt." Unter ihnen der S-Bahnfahrer Markus Weiß (27). Als Protestzeichen trägt er einen blauen Plastikumhang. "Uns wird immer mehr Arbeit aufgedrängt", beklagt er sich. "Wir sind mittlerweile Lokführer, Techniker und Servicepersonal in einem." Mit den Nullrunden will er sich deshalb nicht mehr zufriedengeben.
"Sie streiken viel zu spät", ruft ihm Dagmar Müller (61) im Vorbeigehen zu. Sie ist auf dem Weg nach Erkrath - sucht nach einer Verbindung. Das tut sie nicht verzweifelt. Sie unterstützt die Lokführer. "Der Herr Mehdorn soll mal von seinem teuren Schreibtisch aufstehen und Löhne zahlen", fordert sie. "Die haben ein Recht auf ihr Geld", sagt Kai von der Eltz-Sühlke (25).
Ähnlich sieht das die Wattenscheiderin Gabriele Gottschalk (49) und ärgert sich trotzdem: "Ich bezahle 93 Euro für mein Monatsticket, da müsste die Bahn Ersatzverkehr anbieten." Hinzu kommt: Sie ist behindert und kann nicht einfach aufs Auto umsteigen. Viele andere haben diese Chance genutzt, davon zeugen an diesem Morgen die ungewöhnlich leeren Bahnsteige.
"Null Verständnis" für die Aktion der Lokführer hat der Nürnberger Holger Berg (38). "Denen geht es allen viel zu gut. 31 Prozent - bei der Zahl läuft es mir eiskalt den Rücken runter." Dass er das so sieht, habe nichts damit zu tun, dass er am Düsseldorfer Flughafen bereits 40 Minuten auf seine Bahn habe warten müssen.
Solche Verspätungen haben viele Fahrgäste einkalkuliert - Panikattacken bleiben weitgehend aus. So bleibt Clara Verhaelen (32) auf Gleis 11 trotz des Zugausfalls gelassen. "Ich habe bei der Arbeit Bescheid gesagt." Damit fährt sie sicher, auch wenn die Bahn nicht kommt. Denn wer seinem Arbeitgeber die Verspätung rechtzeitig mitteilt, müsse normalerweise nicht mit Konsequenzen rechnen, erklärt Michael Eckert, Vorstandsmitglied des Deutschen Anwaltvereins.
Für erstaunte Gesichter sorgen die trotz Streiks hin und wieder einfahrenden Züge. "Die verbeamteten Fahrer dürfen nicht streiken", erklärt der Essener Streikleiter Ayhan Demir. Das sind rund 35 Prozent der Lokführer. Einer von ihnen steht neben ihm: Ingo Emmerich (38). Ihm juckt es in den Fingern: "Ich würde gerne mitmachen, weil ich finde, dass die Kollegen mehr Geld verdienen müssten."
Düsseldorf Warten war die wichtigste Tugend auf den Bahnsteigen (Foto). Etwa zehn Züge legten die Gewerkschaftsmitglieder im Hauptbahnhof lahm, etliche andere kamen mit erheblicher Verspätung an. Schicksalsergeben warteten die meisten Fahrgäste auf den nächsten Zug oder suchten irgendeine andere Verbindung zum Ziel. Kritisiert wurde allerdings die Information durch die Bahn. "Bei der Telefonhotline wurde mir gesagt, dass die S 8 fährt. Jetzt stehe ich hier und sie fährt doch nicht", ärgerte sich Volker Frink, der zur Arbeit nach Wuppertal musste.
Krefeld Der Streik legte vor allem am frühen Morgen die Züge lahm. Verbindungen nach Köln, Kleve, Düsseldorf und Duisburg waren unterbrochen, die meisten Züge fielen aus. Um etwa acht Uhr lief der Verkehr zumindest nach Düsseldorf und Duisburg wieder. Erst ab elf Uhr fuhren wieder Züge in Richtung Köln.
Kreis Mettmann Für die Reisenden in den Zügen der Regiobahn (S 28) zwischen Kaarst und Mettmann verlief der Lokführerstreik zunächst glimpflich: Es kam in der Zeit zwischen 7 und 9 Uhr zwar zu Verspätungen von bis zu 16 Minuten, doch alle Züge erreichten ihr Ziel. In Velbert-Neviges fuhren zwar einige S-Bahnen in Richtung Essen, nach Wuppertal ging zeitweise nichts.
Wuppertal Einige Züge fielen ganz aus, der Rest - meist S-Bahnen - war mit Verspätungen unterwegs. "Hier ist weniger los als sonst", sagte ein Mitarbeiter des DB-Reisezentrums im Bahnhofsgebäude. "Die Bahnreisenden haben sich wohl gut über die Medien informiert."
Solingen Am Hauptbahnhof gab es vor allem im Nahverkehr viele Zugausfälle. Zu Beginn des Streiks verkehrte weder die S 7 nach Düsseldorf noch der Müngstener (RB 47). Auf beiden Linien gab es ab etwa 7 Uhr zumindest eine seltene Regelmäßigkeit, weil Beamte, die nicht streiken dürfen, die Loks fuhren. Viele Regional-Expresse fielen aus, in Richtung Köln und Bonn, aber auch nach Krefeld mussten sich die Reisenden auf massive Verspätungen einstellen.
Niederrhein In Mönchengladbach und Viersen hatten die Züge Dienstagmorgen bis zu einer halben Stunde Verspätung. Vereinzelt fielen S-Bahnen Richtung Düsseldorf und der Regionalexpress Richtung Köln aus. Ein Chaos aber blieb an beiden Bahnhöfen aus, hieß es vom Bahnhofsmanagement in Aachen.